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Propulsions Ergebnisse annulliert

Propulsions Ergebnisse annulliert
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Schweden

Solvalla, Donnerstag, 29. Oktober 2020. Die Bombe platzte am Donnerstagnachmittag auf einer von Svensk Travsportens Centralförbund STC eigens einberufenen Pressekonferenz. Endlich, möchte man sagen, denn der Zünder tickte seit mindestens Anfang Juni. Kurz nachdem Propulsion mit dem ohnehin schon Corona-gebeutelten Elitloppet 2020 eines jener drei Rennen gewonnen hat, mit dessen Sieg ein Traber die höchsten Weihen erhält und in den Olymp einzieht: Derby - im Fall des in den USA geborenen „Proppen“ das Hambletonian -, Prix d’Amérique oder eben die inoffizielle Weltmeisterschaft der Sprinter, stets am letzten Mai-Sonntag, heuer am 31., in Schwedens National-Arena des Trabrennsports zelebriert.

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Die STC-Vorsitzende Maria Croon

Die STC-Vorsitzende Maria Croon verkündete den rein rechtlich leider unausweichlichen Spruch, dass der neunjährige Muscle-Hill-Sohn unter Voraussetzung falscher Tatsachen in Schweden an den Start gegangen war und all seiner 45 schwedischen Ergebnisse und Platzierungen verlustig geht. Es geht um die beträchtliche Summe von rund 26 Millionen SEK, die der schwedische Verband, der in diesem ganzen sportlichen Alptraum eine nicht unwesentliche und zweifelhafte Rolle gespielt hat, wie Croon freimütig zugab, vom Stall Zet um Bengt Ågerup und Daniel Redén zurückfordert.

Stand Freitag 9.00 Uhr waren die Ergebnislisten noch nicht korrigiert. „Wir werden im Dezember damit beginnen, Propulsion in allen schwedischen Rennen zu disqualifizieren und den Besitzern der dadurch aufrückenden Pferde die Differenz zum alten Verdienst ausbezahlen.“

Ins Rollen gebracht hatte das, was sich aus sportlicher Sicht niemand wünscht, der für die norwegische Webseite Trav og Galopp-Nytt arbeitende Journalist Truls Pedersen am 2. Juni, also zwei Tage nach Propulsions Elitloppet-Triumph. Er war bei harnesslink bzw. dessen Autor Steve Wolf fündig geworden, der auf Propulsions offiziellem Exportzertifikat der United States Trotting Association den unauffälligen, aber bedeutungsschweren Eintrag fand: „Low nerved left front, low nerved right front“, was so viel bedeutet, dass an den unteren Enden beider Vorderbeine ein Nervenschnitt durchgeführt worden ist.

Derart „denervierte“ und schmerzfrei gemachte Pferde sind den nordamerikkanischen Regeln entsprechend weiterhin startberechtigt, wenn es der Behörde angezeigt ist. Die Crux: Ausweislich der Aussage des damaligen Trainers Tony Alagna und der behandelnden Klinik war Propulsion im Frühjahr 2015 mittels Laser einem beidseitigen Nervenschnitt an den Vorderbeinen unterzogen worden, anschließend Rennen gelaufen und wurde auf der Mixed Sales von The Meadowlands am 2. August 2015 von Redén für 210.000 Dollar ersteigert.

Davon, dass er an beiden Vorderbeine neurektomiert worden war, stand im Auktionskatalog ebenso wenig wie in einem ersten Export-Zertifikat, das für die Reise nach Europa ausgestellt worden war. Eingetragen wurden die Nervenschnitte erst am 18. August 2015 und auf einem zweiten Export-Zertifikat vermerkt, das Redén nach eigener Aussage nie zu Gesicht bekommen hat. Das ist durchaus möglich, denn es wird von Verband zu Verband geschickt und hat mit den eigentlichen Reisepapieren wie Pferdepass und diversen Gesundheitsbescheinigungen nichts zu tun.

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Daniel Reeden

Erste Hinweise auf die Nervenschnitte gab es bereits im Frühjahr 2019. Nach Benachrichtigung von Redén durch den beim STC für diese Angelegenheiten zuständigen, inzwischen gefeuerten Steen Morten Johansen hatte der 40-jährige seinen Crack von zwei Tierärzten untersuchen lassen, die keine Hinweise fanden, dass Propulsion an den Vorderbeinen desensibilisiert worden sei. Das ist bei solchen Nervenschnitte nicht ungewöhnlich, weil im Lauf der Jahre können die Nerventeile zusammenwachsen und Gefühl und Schmerzleitung wieder wiederhergestellt sein können. Das war bei Propulsion augenscheinlich der Fall, denn auch 2020 zeigte er an fraglichen Stellen Gefühl.

Darauf kommt es jedoch nicht an, denn - übrigens auch in der deutschen Trabrennordnung - heißt es unmissverständlich, dass Pferde, an denen Nervenschnitte vorgenommen worden sind, grundsätzlich nicht startberechtigt sind - auch dann nicht, wenn die Sensibilität im Laufe der Jahre zurückkommt. Grund dafür ist, dass dies ein schleichender Prozess und „Schmerzhaftigkeit“ nur subjektiv feststellbar ist. Was die „harten Kerle“ noch ohne Wimpernzucken ertragen, lässt die „Weicheier“ zusammenzucken oder schreien - wobei dies gerade nichts mit harter oder weicher Einstellung zu tun hat, sondern individuell angelegt ist.

Auswirkungen hat der Spruch der ersten STC-Instanz auch auf die züchterische Verwendung Propulsions, dessen Zuchtkoeffizient mangels Ergebnissen von der Zuchtkommission sofort aufgehoben wird. Dies betrifft nicht jene Fohlen, die bis einschließlich 2021 geboren worden sind bzw. werden, wohl aber die Jahrgänge ab 2022, wenn der Spruch des STC bestand behalten wird.

„Wir werden den Fall demnächst offiziell der UET melden“, so Croon, und das dürfte für Propulsion auch den Verlust aller französischen Erfolge nach sich ziehen. Mit seiner ohne die schwedischen Resultate niedrigen Gewinnsumme von 86.178 USD oder rund 75.000 Euro wäre er nie für den Prix d’Amérique qualifiziert gewesen; der Prix de Bretagne 2016, bei dem er sich als Zweiter die erste Amérique-Fahrkarte geholt hatte, war erst für Pferde ab 160.000 Euro Gewinnsumme zugelassen. Ganz abgesehen davon, dass der Beschluss, Pferde mit Nervenschnitten nicht zu Trabrennen zuzulassen, im gesamten UET-Bereich gelten soll.

Nicht unschuldig an diesem sportlichen Desaster ist der schwedische Verband: „Es hat zuvor zum Glück keinen ähnlichen Fall gegeben, doch hätte der Verband natürlich darauf achten müssen, dass alles korrekt abläuft. Der STC wird verschiedene Maßnahmen ergreifen, auch was verbandsinterne Abläufe betrifft, um solches in Zukunft zu verhindern“, versprach die Vorsitzende.

Abgeschlossen sein wird der Prozess noch lange nicht. An der Löschung aus diversen bedeutenden Siegerlisten dürfte nicht zu rütteln sein - unter anderem war Propulsion zweimal UET-Master und damit inoffizieller Europameister, zweimal Sieger im Åby Stora Pris, dreimal im Åbergs Memorial -, doch mindestens zivilrechtlich dürfte der Fall Anwälte und Gerichte noch ein ganzes Weilchen beschäftigen. Vielleicht muss der STC Propulsions Renngewinne aus eigener Tasche zahlen.

Daniel Redén wollte „alles erst mal sacken lassen. Ich habe keine Kraft, Kommentare zu schreiben“, teilte er auf Instagramm mit. Sein Rechtsanwalt Jesper Arvenberg sprach von einer unüberlegten Entscheidung des STC. „Ich hatte mehr erwartet, vor allem, dass der Vorstand sich der Verantwortung entschlossener stellt. Er versteckt sich hinter den Entscheidungen und Versäumnissen eines verstorbenen Administrators, eines ehemaligen Generalsekretärs und eines ebenfalls entlassenen Sicherheitschefs.“

Man darf gespannt sein, was der Överdömstolen, die oberste Rechtsinstanz des STC, die Ågerup, Redén und Arvenberg mit Sicherheit anrufen werden, in diesem bisher einmaligen Fall entscheiden wird.