Perfekt durchs Vorexamen

Vincennes, Sonntag, 8. Januar 2023. In Abwandlung eines alten Sprichworts soll man den Tag nicht vor dem Abend verfluchen - oder darauf vertrauen, dass die Trainer ihr Geschäft verstehen und ihre Schützlinge auf den Punkt genau vorbereiten.
Sah es nach den bisherigen Monté-Ergebnissen dieses Meetings ganz danach aus, als solle der Prix de Cornulier ein 700.000-Euro-Match der Formschwachen werden, so sehen die Karten nach dem letzten Vorexamen deutlich interessanter aus. Fantaisie, aktuell im Prix Paul Buquet nach fünf Monté-Siegen an der Strippe mit der roten Karte nach Hause geschickt, wiederholte ihren Vorjahrserfolg.
Der erstmals seit dem Prix du Calvados 2022 wieder unterm Sattel geprüfte Fado du Chêne, der nach acht Monaten verletzungsbedingter Pause vier nichtssagende Versuche im ungeliebten „Attelé“ auf der Karte hatte, piesackte sie in einer Art Wiederauferstehung wie von Trainer Julien Le Mer prognostiziert. Auch Hirondelle du Rib zeigte endlich, welch feine und scharfe Klinge sie schlagen kann, wenngleich sie als Dritte nie eine echte Siegchance hatte.
Dass bei der Generalprobe nicht gekleckert, sondern kräftig geklotzt wurde, offenbarte die unbestechliche Uhr: Mit 1:12,2 ging Fantaisie um 0,6 Sekunden zügiger zu Werke als vor Jahresfrist, verbesserte Bilibilis vier Jahre alten Rennrekord um 0,2 Sekunden und stellte Roi du Lupins Uralt-Bahnrekord über diese Distanz von anno 2012 ein.
Die Basis für die Rekordhatz schuf, wie sollte es fast anders sein, Yoann Lebourgeois, der trotz der üppigen 2.850-Meter-Strecke Get Lovely Délo umgehend Beine machte. Zeitweise führte die bei 58 Starts fast ausschließlich unterm Sattel engesetzte Hulk-des-Champs-Tochter mit bis zu 20 Meter Vorsprung vor Fantaisie, Etoile de Bruyère, Flower by Magalou, Expresso Good und Emeraude del Phédo, während weit nach hinten versetzt Fado du Chêne als Frontmann die zweite Spur beackerte und Freeman de Houëlle, Hirondelle du Rib und Gladys des Plaines hinter sich herzog.
700 Meter vorm Ziel setzte sich François Lagadeuc vor den Zug um Zug vorrückenden Favoriten, der diese Aufgabe 2021 als Bester gelöst hatte, und hielt den einmal erlangten Vorteil sicherer fest, als der Vorsprung einer halben Länge vermuten ließe: Erst ganz zum Schluss rückte ihr Fado etwas dichter auf die Pelle.
3½ Längen zurück schwebte Hirondelle du Rib auf Platz drei ein vor dem diesmal konsequent auf Warten gerittenen Freeman de Houëlle, der seine übliche Schwächephase im letzten Bogen auf der Zielgeraden ausbügelte.
Das letzte Wort gilt Etoile de Bruyère, deren siebter Rang genügte, sie über die Million zu hieven: 1.000.520 Euro zieren seit diesem Sonntag das Konto der Kénor-de-Cosse-Tochter, die schon lange über den Zenit ihrer goldenen Jahre hinaus ist. Spitze des Gagen-Eisbergs sind die Plätze zwei (2020) und drei im Prix de Cornulier (2021 und 2022), was Trainer und Besitzer Charles Dreux auf ein neuerlich gutes Abschneiden in 14 Tagen hoffen lässt.
Prix du Calvados - Monté - (Gruppe II int., fünf- bis elfj. Stuten & Hengste)
2850 Meter Bänderstart o.Z.; 150.000 Euro
1. Fantaisie 12,2* François Lagadeuc 36
8j.schwbr. Stute von Un Mec d‘Héripré a.d. Quita d‘Eronville von Quito de Talonay
Be: Tanguy de la Bourdonnaye; Zü: S.N.C. Jean Levesque; Tr: Nicolas Bridault
2. Fado du Chêne 12,3 Paul-Philippe Ploquin 24
3. Hirondelle du Rib 12,5 Jean-Loïc Claude Dersoir 85
4. Freeman de Houëlle 12,7 Benjamin Rochard 220
5. Gladys des Plaines 12,8 Eric Raffin 100
6. Get Lovely Délo 12,8 Yoann Lebourgeois 140
7. Etoile de Bruyère 13,1 Adrien Lamy 1020
8. Good Girl Marceaux 13,1 Alexandre Abrivard 87
9. Edition Géma 13,2 Gaëlle Godard 970
10. Flower by Magalou 13,3 Anthony Barrier 720
11. Emeraude del Phédo 14,3 David Thomain 660
Expresso Good dis.r. Florian Desmigneux 1150
*Rennrekord; Distanz-Bahnrekord eingestellt
Sieg: 36; Richter: sicher ½ - 3½ - 3 - 1 - ¾ - 2½ Längen; 12 liefen
Zw-Zeiten: 11,5/1350m - 11,6/1850m - 12,1/2350m
Wert: 67.500 - 37.500 - 21.000 - 12.000 - 7.500 - 3.000 - 1.500 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2023-01-08/7500/6
Erneut ein Franzosen-Einlauf
Wie tags zuvor im Prix Maurice de Gheest für die dreijährigen Herren gab‘s auch bei den 2020 geborenen Stuten im Prix Gélinotte einen reinen Franzosen- oder - politisch korrekter - Französinnen-Einlauf.
Es war jedoch nicht die nach drei Siegen bei ebenso vielen Starts zur 46:10-Favoritin erkorene Kiara de Vandel, die den Ausländerinnen eine klare Ansage machte. Wie von Alexandre Abrivard befürchtet, tauchte die Charly-du-Noyer-Tochter auf der Sprintstrecke gegen die Elite ihrer Generation völlig unter.
Es wurde ein erst mit den letzten Schritten entschiedenes Match zwischen den beiden Reichsten, von denen Kalamity d’Héripré, von Franck Nivard bergauf in dritter Spur auf Attacke gepolt, den etwas anstrengenderen Run verschrieben bekam und sich dennoch um Haupteslänge gegen Kana de Beylev durchsetzte, mit der Eric Raffin neben Spitzenreiterin Kalie Glycines das äußere Gleis kontrollierte.
Gegen den Überfall der Un-Mec-d’Héripré-Tochter, die noch vor Erreichen der Schlusskurve das Panier ergriff, war Kana de Beylev jedoch machtlos und musste auf den finalen 500 Metern die etwas weiteren Wege gehen. So vorbildlich sich die Express-Jet-Tochter auch reinhängte, verteidigte sich Kalamity d’Héripré, die bereits am 18. Dezember den ersten Halbklassiker Prix Une de Mai an ihre Fahne geheftet hatte, mit Klauen und Zähnen.
Lohn des Schwitzens waren Treffer Numero vier aus sieben Schüssen und ein Upgrade auf 169.000 Euro auf Seiten ihrer Entourage und 4,7-fache Sieg-Odds für jene „turfistes“, die an sie geglaubt hatten. Bronze ging an Allaires Katchina de Simm, die sich durchweg an die Fersen Kana de Beylevs geheftet hatte und Kyrielle um einen „Kopf“ auf Distanz hielt.
Erst danach schlug die Stunde der Fremdlinge, von denen die Mister-JP-Tochter Rikita JP den besten Eindruck hinterließ. Wenig nach vorn ging für Gocciadoros Eté Jet, die lange innen an dritter Position gefangen war und kaum Explosivität verriet, als es 100 Meter vorm Pfosten endlich ein wenig Freiraum gab.
Von Jean-Pierre Dubois‘ beiden Schützlingen meldete sich die knurrige Kerry Love bereits am Start ab. Esperia CR kreuzte ausgangs der letzten Biege in dritter Spur auf, hatte damit jedoch ihr Pulver verschossen und kam nicht über Rang sechs hinaus.
Prix Gélinotte (Gruppe II int., dreij. Stuten)
2175m Bänderstart o.Z.; 120.000 Euro
1. Kalamity d‘Héripré 13,0 Franck Nivard 46
3j. Rappstute von Un Mec d‘Héripré a.d. Sagarella von Goetmals Wood
Be: Laurent Dugrosprez; Zü: Eugénie Quintin; Tr: Fabrice Souloy
2. Kana de Beylev 13,0 Eric Raffin 60
3. Katchina de Simm 13,2 David Thomain 80
4. Kyrielle 13,2 William Bigeon 580
5. Rikita JP 13,3 Matthieu Abrivard 460
6. Esperia CR 13,3 Santo Mollo 340
7. Klara de Vandel 13,4 Alexandre Abrivard 45
8. Eté Jet 13,5 Alessandro Gocciadoro 85
9. Rozenn d‘Erquy 13,8 Anthony Barrier 660
10. Kanawa 14,4g Gabriele Gelormini 190
Kalie Glycines dis.r. Yoann Lebourgeois 210
Kabaka de Guez dis.r. Jean-Michel Bazire 83
Erica Jet dis.r. Björn Goop 450
Kerry Love dis.r. Benjamin Rochard 510
Sieg: 46; Richter: Kampf Kopf - 2 - Kopf - ½ - Hals - 1 Länge; 14 liefen
Zw-Zeiten: 09,9/675m - 12,8/1175m - 13,8/1675m
Wert: 54.000 - 30.000 - 16.800 - 9.600 - 6.000 - 2.400 - 1.200 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2023-01-08/7500/5
Gocciadoro „spektakulär“
Im letzten Höhepunkts des langen Renntages, dem Prix Charles Tiercelin für die internationale 2019er Aufzucht, nahmen die Azzurri Rache für die zahlreichen Demütigungen am Samstag und Sonntag. Den Qualifikationslauf für den neugeschaffenen Prix Ourasi, der, mal eben um 100.000 auf 300.000 Euro aufgestockt, am Tag des Prix d’Amérique entschieden wird, schnappte sich nach einem Versteckspiel sondergleichen mit kapitalem Endspurt Don’t Say Gar.
Die Varenne-Tochter hatte sich bereits am 18. Dezember zur Frankreich-Premiere den Prix Albert Rayon samt 31.500 Euro gesichert, war anschließend im Prix de Château Chinon mit „JMB“ im Galopp ausgefallen und lief sowohl bei den „turfistes“ für 45,9-fache Odds wie aufm Platz im Hintertreffen des 15er Pulks komplett unterm Radar.
Am Start fielen Mitfavoritin Juliet Papa Bravo, nach 500 Metern auch Joyeuse und Jag Stryck aus, während Juninho Dry sofort vor Just Love You das Zepter schwang, bis es Ende der Tribünengeraden Jack Tonic noch ein bisschen schneller wollte und sich zum Dirigenten einer recht gleichmäßigen Aufführung aufschwang. Das bescherte Just A Gigolo, dem mit Abstand Reichsten der Truppe, vor Trainingsgefährte J’Aime le Foot den Part des äußeren Anführers, den der klug beratene Franck Nivard für die Bergauf-Passage an Janka Somolli abtrat.
Zwar musste er kurz vor der Schlusskurve um den Super-Longshot herum, doch schien das dem vierfachen Gruppe-I-Sieger nichts auszumachen, zumal er dadurch den aus hintersten Gefilden sich allmählich vortastenden Deus Zack in die dritte Linie verbannte. Es wurde ein brandheißer Tanz für den Gigolo, der noch nicht an Jack Tonic vorbei war, als 150 Meter vorm Ziel auch der Duvaldestins zweite Chance im Galopp ausfiel.
Den dadurch freikommenden Juninho Dry sowie die sich an Deus Zack ankoppelnde Jazzy Perrine vermochte er mit Mühe, Not und den letzten Seufzern in Schach zu halten. Nichts zu löten war gegen die Flugshow Don’t Say Gars. Der nicht in Gelb, sondern ins unschuldige Weiß der Société de Vincennes gekleidete Alessandro Gocciadoro lag goldrichtig, auf den kapitalen Endspurt der Braunen zu setzen.
Ohne einen Handschlag ihres Steuermanns fegte sie zum siebten und wertvollsten Erfolg ihrer 17 Auftritte umfassenden Karriere an der kämpfenden Meute vorbei und lässt ihr Umfeld hoffen, sich am 29. Januar eine dicke Scheibe vom dann noch üppigeren Preisgeldkuchen abschneiden zu können. Bislang steht ihr Konto bei 158.593 Euro - ein Klacks gegen die 857.450 Euro, die Just A Gigolo als Reichster der Franzosen-Combo auf dem Kerbholz hat.
„Verrückt!“ lachte der Mann, der 2022 in Europa als Trainer mit weitem Abstand das meiste Geld für die Besitzer der ihm anvertrauten Pferde gescheffelt hat, „gegen diese Gesellschaft hatte selbst ich nie an einen Sieg gedacht, sondern eher an Platz vier oder fünf. Wie die Stute die Zielgerade herunter geflogen ist, war unglaublich.“ Der letzte Kilometer wurde für sie mit 1:09,8, die finalen 500 Meter mit 1:08,7 gestoppt.
Nicht unzufrieden war Franck Nivard: „Das war sehr ordentlich, zumal ihn Philippe (Allaire) in den letzten drei Wochen nicht extra geschärft hat. Im Prix Ourasi wird er ihn barfuß aufbieten - das dürfte ein, zwei Zehntelsekunden ausmachen.“
Prix Charles Tiercelin (Gruppe II int., vierj. Hengste & Stuten)
2700 Meter Bänderstart o.Z., 120.000 Euro
1. Don’t Say Gar 13,9 Alessandro Gocciadoro 459
4j. br. Stute von Varenne a.d. Revirade Gar von Pine Chip
Be: Carl Gunnar Myhre, NO; Zü: All. Garigliano Srl, IT; Tr: Alessandro Gocciadoro
2. Just A Gigolo 14,0 Franck Nivard 24
3. Juninho Dry 14,0 Paul-Philippe Ploquin 80
4. Jazzy Perrine 14,0 Eric Raffin 210
5. Just Love You 14,3 Alexandre Abrivard 870
6. J’Aime le Foot 14,4 David Thomain 160
7. Jaguar Wit 14,5 Yoann Lebourgeois 440
8. Janka Somolli 14,7 Pierre-Yves Verva 1500
9. Joker des Molles 14,8 Louis Baudouin 1580
10. Deus Zack 14,9 Gabriele Gelormini 110
11. Jolie Poupée 14,9 Jean-Michel Baudouin 1340
Jack Tonic dis.r. Théo Duvaldestin 120
Jag Stryck dis.r. François Lagadeuc 270
Juliet Papa Bravo dis.r. Clément Duvaldestin 40
Joyeuse dis.r. Mathieu Mottier 1070
Sieg: 459; Richter: sicher 1 - k.Kopf - ½ - 4 - 2 - 1½ - 1 Länge; 15 liefen
Zw-Zeiten: 14,6/1200m - 15,0/1700m - 14,5/2200m
Wert: 54.000 - 30.000 - 16.800 - 9.600 - 6.000 - 2.400 - 1.200 Euro
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2023-01-08/7500/8
Elitärer Schlussakkord
Der mit dem Auto gestartete, zur Kategorie A zählende Prix de Lille um 90.000 Euro für 16 sechs- bis elfjährige Europäer, die keine 505.000 Euro gewonnen hatten, wurde zur etwas überraschenden Beute Elite de Jiels, die mit 100:10 nur zum erweiterten Kreis der Favoriten zählte.
Nachdem sich Crack Money von der „5“ mit explosivem Antritt gegen Gocciadoros Bepi Bi (4) fürs Kommando durchgesetzt hatte, ließ der Konter des Sweden-Cup-Siegers 2022 nicht lange auf sich warten.
Zu Beginn des Anstiegs übernahm der Italiener die Spitze, wurde aber rasch von Fairplay d’Urzy bedrängt und in jenem Moment abgelöst, als Eric Raffin mit Doux Parfum zu zeitig aus der dritten in die zweite Spur wechseln wollte und dabei Victor Ferm abschoss; beide Kontrahenten landeten am Sünderturm, den auch Bazire aufsuchen musste, als sein Partner noch in Front zu Beginn der „ligne droite“ aus dem Tritt kam.
Wie wichtig eine innere Ausweichspur ist, wurde einmal mehr augenfällig: Fair auf diese manövrierend, machte „JMB“ den Weg frei für den hinter ihm mit vollen Backen lauernden Gocciadoro-Schützling. Der nahm das erhoffte Geschenk dankend an, flitzte an Fine Colline, die Matthieu Abrivard genau so offensiv vorgetragen hatte, wie nach seinen optimistischen Äußerungen zu hoffen war, um 1½ Längen vorbei - und gewann dennoch nicht.
Weit außen kam Elite de Jiel angeflogen, die François Lagadeuc in den Weiten des Mittelfelds aus allen Scharmützeln herausgehalten hatte, und machte um eine halbe Länge ihren zehnten Volltreffer aus 78 Versuchen perfekt, mit dem sie bei 484.240 Euro angelangt ist. Hinter der ob der aufwändigen Taktik keineswegs enttäuschenden Fine Colline komplettierten die Schweden Marcello Wibb (Christophe Martens) und Usain Töll (Adrien Lamy) die Quinté-Wette.
Video: https://www.letrot.com/fr/replay-courses/2023-01-08/7500/4