Erstaunliches Orakel

Enghien, Samstag, 29. Juli 2023. Zweieinhalb Wochen früher als sonst bat das Plateau de Soisy im Norden der französischen Kapitale zum Prix Jean-Luc Lagardère um 150.000 Euro.
Star dieses Halbklassikers war der in der nervlichen und körperlichen Form seines Lebens laufende Etonnant, für den dies der letzte Auftritt um Geld in Frankreich vor einer ganz großen Reise sein sollte. Trotz der schlechten Erfahrungen im Vorjahr gedenkt Richard Westerink, sich mit dem Timoko-Sohn erneut auf dem 800-Meter-Nudeltopf von Yonkers in den International Trot zu wagen, der heuer bereits am 9. September ausgetragen wird.
Nicht nur die halbe Million Dollar für den Sieger lockt den Niederländer aus Frankreichs Südwesten: „Ich hab‘ noch nie ein Rennen in Amerika gewonnen - das ist mein großes Ziel.“ Fast selbstverständlich sah Westerink den heutigen zwei Runden plus ein wenig Anlauf optimistisch entgegen: „Vom letzten Sieg im Prix de Washington vor 14 Tagen hier in Enghien hat er sich bestens erholt, die damaligen Gegner waren eine Klasse besser, der fast doppelt so weite Weg wird ihm nichts ausmachen.“
Die „turfistes“ schlossen sich seiner Meinung rückhaltlos an und erkoren ihn bei 15:10 zum Tipp des Tages. Wenige Minuten nach 17.00 Uhr dürften sie wie der Trainer sich verwundert die Augen gerieben und erkannt haben, dass die physischen wie psychischen Kapazitäten des 2,5-fachen Millionärs doch nicht unerschöpflich sind.
Dabei konnte seine Entourage über den Rennverlauf nicht klagen. Der früher oft so knifflige Braune steckte selbst einen von Eric the Eel verursachten Fehlstart klaglos weg und fand beim gültigen „Ab“, wie gewohnt weit außen eindrehend, ganz im Gegensatz zum sofort im Galopp ausfallenden Fakir de l‘Ecluse prima in die Hufe.
800 Meter lang parkte er an fünfter Stelle hinter Fulton, Eric the Eel, Echo de Chanlecy und Elie de Beaufour, wechselte dann nach außen und bekam dort in Eric the Eel eine Lokomotive, die Mitte der Tribünengeraden Fulton von der Spitze verdrängte. Auch dies war für Etonnant kein Beinbruch: Anthony Barrier drückte das Gaspedal durch und installierte den Neunjährigen für die Schlussrunde auf der Kommandobrücke.
Bis hierhin lief alles nach Plan. Nicht auf der Rechnung stand Elie de Beaufours resolute Attacke ab Mitte der Überseite. Vorbei kam Jean-Michel Bazire lange nicht, zog dem Widersacher durch die letzte Kurve jedoch gründlich den Kampfzahn, wie sich auf der langen Zielgeraden zeigte. Dort gab Etonnant gegen den unerschrockenen Angreifer klein bei, der dennoch auf die großen Früchte seiner aufopferungsvollen Arbeit verzichten musste.
Aus seinem Windschatten wurden Elvis du Vallon und vor allem Oracle Tile immer dominanter. Dem siebenjährigen Schweden, im Dezember 2022 aus Norwegen ins Quartier der Duvaldestins gewechselt, gelang mit Trainersohn Théo der sechste und wertvollste Treffer auf Frankreichs Boden, mit dem sein Konto auf 510.847 Euro sprang. Begonnen hat er seine Reise durch Gallien mit schmalen 193.197 Euro. Für Etonnant wurde es ganz bitter: Als Vierter verfehlte er sogar das Treppchen.
„Ich hab Oracle Tile freiwillig in der Nachhut versteckt. Eine große Wahl hatte ich ja nicht“, gestand Théo Duvaldestin, für den dies der zweite halbklassische Sieg als Fahrer war, „er konnte sich ausruhen und sein Pulver trocken halten. Bei dem zügigen Tempo lief alles bestens für uns, auch weil ‚JMB‘ den Mut hatte, Etonnant auf den Zahn zu fühlen."
"Vorher hatte ich gedacht, Zweiter hinter Etonnant wäre wie ein Sieg. So ist’s natürlich noch besser. Mein Hengst hat sich weiter gesteigert - so gut wie heute war er glaube ich noch nie. Da er lange Strecken liebt, könnten wir mit ihm zum Åby Stora Pris fahren. Doch dort müssten wir auf einen Ausrüstungsgegenstand verzichten, der in den nordischen Ländern verboten ist. Also wird er wohl eher eine kurze schöpferische Pause einlegen.“
Anthony Barrier hingegen hadert ein wenig mit seiner in Sekundenbruchteilen zu fällenden Entscheidung, ob er Elie de Beaufour vorbeilassen sollte: „Ich hatte Angst, eingesperrt zu werden, darum hab ich den Strauß mit Elie ausgefochten. Im Nachhinein die falsche Wahl. An Etonnant war nichts auszusetzen - er war gehfreudig wie eh und je.“
Richard Westerink sah keine Veranlassung, die Reisepläne über den Haufen zu werfen: „Er hat sich gut genug präsentiert. Vielleicht startet er vor dem Flug nach Amerika noch mal in Argentan.“
Prix Jean-Luc Lagardère (Prix d’Europe) (Gruppe II int., Vier- bis Zehnj.)
2875m Bänderstart o.Z., 150.000 Euro
1. Oracle Tile 12,3 Théo Duvaldestin 49
7j.br. Hengst von Ready Cash a.d. Exotic Sund von Credit Winner
Be: Stall Ready to Win, NO; Zü: Vestmarka AB, SE; Tr: Thierry Duvaldestin
2. Elvis du Vallon 12,3 Yoan Lebourgeois 330
3. Elie de Beaufour 12,5 Jean-Michel Bazire 64
4. Etonnant 12,6 Anthony Barrier 15
5. Echo de Chanlecy 12,9 Tony Le Beller 520
6. Figaro de Larré 13,8 Dylan Dulong 1140
7. Brand Roc 13,9 Tristan Ouvrie 590
Eric the Eel 5.dai Franck Nivard 120
Fakir de l’Ecluse dis.r. Alexandre Abrivard 860
Fulton dis.r. Damien Bonne 1020
Sieg: 49; Richter: sicher 1½ - 2 - 1 - (2) - 1½ Längen; 10 liefen
Zw-Zeiten: 13,6/1875m - 11,8/2375m
Wert: 67.500 - 37.500 - 21.000 - 12.000 - 7.500 - 3.000 - 1.500 Euro