Die jungen Gipfelstürmer

Vincennes, Sonntag, 28. Januar 2024. Wegen dreier abgebrochener Startversuche rund fünf Minuten später als erwartet fand bei der 103. Auflage des Prix d’Amérique die lang erwartete Weihe zweier Jungspunde statt.
Bereits im Vorjahr waren der damals fünfjährige Idao de Tillard und der 24-jährige Clément Duvaldestin nach einem beeindruckenden Marsch durch die französischen Gruppe-Instanzen als 35:10-Mitfavoriten zum renommiertesten Trabrennen des Globus angetreten. Was damals in einem frühen Galopp-Fiasko ausgangs der ersten Kurve geendet hatte, wurde diesmal nach dem Motto „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“ mit Aplomb nachgeholt.
Das eine Jahr haben Thierry Duvaldestin und seine Söhne brillant genutzt, um dem braunen Kraftpaket die wenigen Achillesfersen zu stärken - wie zum Beispiel eben jene im Einlaufbogen, in dem sich der Séverino-Sohn nicht nur einmal schief gemacht, Boden oder sogar das Geläuf verloren hatte. Davon war bei dem auf dem Gestüt de Tillard in Hotot-en-Auge rund 230 Kilometer westlich von Vincennes in der Normandie Geborenen schon seit langem nichts mehr zu sehen.
Allerspätestens seit seinem monströsen Triumphzug durch den Prix Ténor de Baune am 24. Dezember war er als Amérique-Favorit in aller Munde und zum Teil zum Festkurs von unter 25:10 zu haben. Bis zum Prix de Belgique lief der Matchplan wie geschmiert für das Aushängeschild von Trainerchampion Thierry Duvaldestin. Dann musste er wegen leichter Erkältungssymptome die letze, vom Trainer eingeplante Vorprüfung sausen lassen - und plötzlich war alles ungewiss, ließ für einige Tage, bis die genaue Diagnose feststand, gar einen Start im Millionenrennen in einige Ferne rücken.
„Alles zum Glück nicht so schlimm, er wird mit Inhalationen behandelt und kann bald wieder trainieren“, gab Duvaldestin senior kurz darauf halbe Entwarnung. Der Kurs kletterte dennoch auf mehr als dreifache Odds, denn die Gretchenfrage lautete: „Wenn überhaupt wie viel Form und Kraft hat Idao in der fraglichen Woche verloren?“ Der Prix d’Amérique oder besser die Berg- und Tal-Piste auf dem Plateau de Gravelle verzeiht selbst Cracks kleinste Schwächen nicht.
Landauf, landab - und das nicht nur in Frankreich - wurde er auf dennoch auf den Favoritenschild gehoben, auch weil er einer der Wenigen war, die sich das Rennen außen herum selbst gestalten können, nahm die 2.700 Meter schließlich bei 26:10 unter die Hufe - und enttäuschte Umfeld und riesige Anhängerschar nicht.
Nach dem 28. Treffer aus lediglich 38 Versuchen, davon dem fünften auf höchstem Level, ist der wuchtige Braune, der erst am 16. Januar 2022 mit dem Sieg im Prix de Ribérac der Kategorie III vergleichsweise spät ins Gruppe-Geschäft eingestiegen ist, bei 1.924.430 Euro angekommen und funktionierte besser denn je. Ein Blick ein Jahr voraus verheißt, so denn Beide bis dahin „fit and well“ bleiben, ein von Vielen schon für dieses Jahr erhofftes Duell der jungen Giganten mit Jushua Tree.
Reaktionen
„Wir wussten schon lange, dass Idao ein Champion ist. Obwohl die Vorbereitung nicht optimal war wegen der kleinen Erkältung zur Unzeit, die uns die Teilnahme am Prix de Belgique gekostet hat, hat ihn das nicht entscheidend zurückgeworfen. Doch ich musste bis ins Ziel voll konzentriert bleiben, obwohl der Vorsprung dann wohl doch sehr ansehnlich war“, schnaufte Clément Duvaldestin nach vollbrachter Tat durch, der im Übrigen ein langjähriger Freund Nicolas Bazires ist, mit dem er sich schon in Pony-Rennen gemessen hat.
Voller Emotionen war Thierry Duvaldestin: „Ich hab den Amérique-Triumph als Trainer 2011 und 2012 dank Ready Cash kennengelernt. Aber den hab ich als perfekten Crack übernommen, an dem nur einige Stellschrauben zu justieren waren, bis er wie in jungen Jahren unter Philippe Allaire funktioniert hat. Den Amérique zu gewinnen mit einem Pferd, das ich selbst ausgesucht, erworben, gemeinsam mit Clément eingebrochen und ausgebildet habe, ist noch mal ein anderer Level."
"Ich hab Clément nur mit auf den Weg gegeben: Vertraue ihm, verpass ihm sein Rennen, spare seine Reserven so lange wie möglich - das hat er perfekt umgesetzt. Sicher war ich mir im Vorfeld ganz und gar nicht, weil es ein paar Dinge gab, die so nicht geplant waren. Ich hab ihn sogar mit 230-Gramm-Vordereisen etwas schwerer gemacht als beispielsweise im Critérium Continental, weil ich Angst um seine Balance hatte. Dieser Hengst ist bärenstark. Ich denke, er ist noch nicht an seinen Grenzen angelangt.“
Züchterin Françoise Chaunion: „Als Idao das Ziel passierte, dachte ich an meine Eltern, die unsere Zucht begründet haben. Mein sehnlichster Wunsch war, die Tillard-Zucht kontinuierlich fortzusetzen und an die Spitze zu bringen. Ich bin unendlich stolz auf dieses Pferd, auf diesen Sieg.“
David Thomain: „Ich hatte mit Hokkaido Jiel ein Traumrennen, musste am Ende ein bisschen Slalom fahren, weil wir spät auf freie Bahn kamen. Was für ein Finish! Der eindeutig Beste hat gewonnen, aber wir waren auch nicht schlecht.“ Trainer Jean-Luc Dersoir: „Viele haben wohl den Sieg im Prix René Ballière ausgeblendet. Die Vorbereitungsrennen waren nicht eben spektakulär. Er bleibt eben Hokkaido Jiel, unsere kleine Wundertüte im Guten wie im Schlechten.“
Eric Frémiot, Manager der Ecurie Jean Luck: „Ein Erfolg des gesamten Teams, für unsere Zucht, für meinen Großvater, der vor mehr als 40 Jahren in Traber investiert hat, für Jean-Luc, der so viele Jahre bei uns ist. Mir fehlen die Worte. Man träumt immer davon, mal im Prix d’Amérique dabei zu sein…“,
Rundum glücklich waren Björn Goop und Anders Ström, der Besitzer des Stalles Courant: „Auch wenn wir für den Ehrenplatz nur hauchdünn abgefangen worden sind, sind wir nicht nur zufrieden, sondern total happy, wie sich Joviality als Jüngste im Feld verkauft hat.“ „Vielleicht sehen wir uns in naher Zukunft mal wieder in Vincennes“, ergänzte Trainerin und Managerin Sabine Kagebrant. Die Reise der Stute durch Europa scheint noch nicht beendet.
Restlos bedient war indes Romain Derieux: „Das Ganze war ein Alptraum. Chancenlose Pferde gaben 1.500 Meter vorm Ziel auf und haben uns ausgebremst - es war widerlich. Was für ein Knaller er ist, hat er auf der Zielgeraden gezeigt. Schade, schade - er hätte sehr viel besser abschneiden können.“ Wobei man als Außenstehender anmerken muss, dass dies das Los all jener ist, die konsequent verdeckt fahren wollen. Den Mutigen gehört in solch einem Fall die Welt - wie es eben Clément Duvaldestin war, der sich nicht gescheut hat, die dritte, vierte und später Todes-Spur zu frequentieren.
Mathieu Mottier: „Letztes Jahr war Italiano Vero Dritter. Nachdem er im Belgique bergab aus dem Tritt gekommen ist, war ich ihn diesmal vorsichtiger, und er funktionierte in allem perfekt.“
Der Rennverlauf
Nach drei früh abgebrochene Versuchen klappte es beim vierten Mal, das Hussard de Landret, mit dem sich Yoann Lebourgeois in den drei letzen „B“-Rennen als „Ersatzmann“ für Trainer Benoît Robin so prächtig eingefummelt hatte, im Galopp begann. Früh geplatzt war der durchaus realistische Traum für den Bird-Parker-Sohn vom großen Geld - er zierte umgehend den Sünderturm.
Der Rest flitzte in breiter Phalanx los, denn trotz des weiten Weges gilt längst die Devise, sich früh ein ordentliches Plätzchen zu suchen, um in dem Mammutfeld nicht zu weit weg von der vorderen Musik zu spielen. Das klappte für die Schweden-Fraktion effektiv. Am flinksten kam die in den Meilenprüfungen Nordamerikas gestählte Joviality in die Gänge und ließ sich noch vor Einbiegen auf die Tribünengerade von Landsmann Hail Mary ablösen, mit dem Eric Raffin den „Raketen-Start“ aus dem Band im Prix de Belgique erfolgreich geübt hatte.
Innerer Dritter war Hooker Berry vor Vivid Wise As, Italiano Vero, Go On Boy und Inmarosa, die äußere Riege führte Gu d’Héripré vor Hokkaido Jiel, Hohneck, Ampia Mede SM, Aetos Kronos, Idao de Tillard, Délia du Pommereux, dem wie erwartet äußerst mäßig in die Hufe gekommenen Belgique-Sieger Izoard Védaquais und Schlusslicht Diable de Vauvert an.
Vor der Tribüne herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung: Elitloppet- und UET-Masters-Sieger Hohneck setzte sich mit krachender Etüde vor Gu d’Héripré; Ampia Mede SM in dritter und Idao de Tillard mit Izoard Védaquais im Schlepp gar in vierter Spur rückten wuchtig nach.
Mitte des Bogens von Joinville kam die italienische Co-Favoritin vor Hohneck in Spur zwei herunter, ließ ausgangs desselben Idao de Tillard vorbei und hatte fürs „Bergsteigen“ jenes Traumrennen, aus dem sie ihren gefürchteten Speed ansetzen konnte. In dritter Spur stiefelte Izoard Védaquais den „Pass“ hinauf - Clément Duvaldestin sah keinerlei Veranlassung, den vermeintlich chancenreichsten der drei Allaireschen Musketiere vor sich zu dulden, dem Aetos Kronos und Délia du Pommereux nur bedingt auf den Fersen zu bleiben vermochten.
Als sie genug hatten, tauchten Hooker Berry und Gu d’Héripré in den Windschatten des Izoard, der den anspruchsvollen Part bis 500 Meter vorm Ziel durchstand und sich dann nach hinten verabschiedete. Das war zugleich so etwas wie das Todesurteil für Hooker Berry, der früher als vor einem Jahr aus der Deckung musste, wollte er die vage Chance auf die Titelverteidigung erhalten. Die frühe vierte Gefechtslinie zog dem kernigen Fuchs ebenso den ganz scharfen Kampfzahn wie Bourgogne-Sieger Gu d’Héripré.
Trotz allen Einsatzes war mehr als Platz sechs nicht drin für den Booster-Winner-Sprössling, der damit immerhin die ziemlich enttäuschende Ampia Mede SM düpierte, die Idao de Tillard eigentlich nur hätte hinterherackern müssen. Der überrannte den an der letzten Ecke resolut seine Siebensachen packenden Hail Mary wie nix und hatte spätestens 100 Meter vorm Ziel Sieg und 450.000 Euro in der Tasche, wenngleich sein Pilot sich jede frühe Jubelpose verkniff und bis zum Pfosten hochkonzentriert blieb.
Hinter Hail Mary kam Joviality im Slalom rechtzeitig aus der Falle und schien zwei Längen zurück mit dem zweiten knackigen Sprint nach jenem vom Start Platz zwei sicher zu haben. Noch einen Tick mehr auf der Pfanne hatte der sich aus dem Mittelfeld wie ein Aal ganz innen durchschlängelnde Hokkaido Jiel, der alle Fisimatenten im Stall gelassen hatte und den Sieg im „sommerlichen“ Prix René Ballière endlich vollauf bestätigte.
Eine Länge hinter diesem Kopf-an-Kopf-Duo passierte ein ähnlich eng beieinander liegendes Trio den Zielrichter, von dem der weit außen als Schnellster der finalen 300 Meter von letzter Stelle heranfliegende, erstmals in seiner Karriere komplett barfuß laufende Go On Boy das beste Ende gegen den in zweiter Spur geschonten Italiano Vero und Hooker Berry für sich hatte. Eine weitere Länge zurück rettete Ampia Mede SM, die nicht den überwältigenden Punch des Vorwinters parat hatte, die kleinste Prämie knapp vor den innen nie wirklich freie Bahnen vorfindenden Vivid Wise As, Emeraude de Bais sowie dem erschöpften Izoard Védaquais.
103. Prix d’Amérique (Gruppe I int., vier- bis elfj. Hengste und Stuten)
2700m Bänderstart ohne Zulage, 1.000.000 Euro
1. Idao de Tillard 11,6 Clément Duvaldestin 26
6j.br. Hengst von Séverino a.d. América de Tillard von First de Retz
Be: Cyril Sevestre; Zü: Françoise Chaunion; Tr: Thierry Duvaldestin
Pflegerin: Susanne Ohme
2. Hokkaido Jiel 11,7 David Thomain 920
3. Joviality 11,7 Björn Goop 160
4. Go On Boy 11,7 Romain Derieux 81
5. Italiano Vero 11,8 Mathieu Mottier 1030
6. Hooker Berry 11,8 Nicolas Bazire 88
7. Ampia Mede SM 11,8 Franck Nivard 66
8. Emeraude de Bais 11,8 Jean-Philippe Monclin 960
9. Vivid Wise As 11,8 Matthieu Abrivard 340
10. Izoard Védaquais 11,9 Benjamin Rochard 170
11. Inmarosa 12,0 Léo Abrivard 600
12. Diable de Vauvert 12,0 Bertrand Le Beller 1740
13. Hohneck 12,1 Gabriele Gelormini 480
14. Hail Mary 12,1 Eric Raffin 150
15. Gu d’Héripré 12,3 François Lagadeuc 180
16. Aetos Kronos 12,4 Örjan Kihlström 940
Délia du Pommereux dis.r. Pierre-Yves Verva 2020
Hussard du Landret dis.r. Yoann Lebourgeois 170
Sieg: 26; Richter: sicher 2 - k.Kopf - 1 - Kopf - k.Kopf - 1 - Kopf - Hals - Hals - 2 Längen; 18 liefen
Zw-Zeiten: 11,9/1200m - 11,4/1700m - 11,5/2200m
Wert: 450.000 - 250.000 - 140.000 - 80.000 - 50.000 - 20.000 - 10.000 Euro
Video Rennen: https://www.youtube.com/watch?v=3Ie5KHkCZkA
Video Best of: https://www.youtube.com/watch?v=WLBGOMHuW1c
Video Fahrerpräsentation: https://www.youtube.com/watch?v=7oYJKUi3_fo
Ein Blick auf den Umsatz: Durch den aus allen Teilen der Welt gespeisten PMU-Toto flossen allein im Prix d’Amérique 17.544.983,40 Euro (2023: 18.369.134,65; 2022: 18.608.767,85; 2021: 17.466.831,28 Euro), davon 8.473.501,56 Euro (Vorjahr: 9.358.024,71 Euro) in der mit einem Drei-Millionen-Euro-Jackpot gespickten Quinté-Wette.