Der Maître in Rekord-Laune

Vincennes, Samstag, 29. Februar 2020. Spätestens mit dem letzten Richterspruch am Samstag kurz vor 19.00 Uhr zugunsten David Thomains und Vastaz Font Mils gegenüber dem Deutschen Mister Ed Heldia traten die Statistiker auf den Plan, stellten Zahlen, Daten, Fakten der vier Monate vom 30. Oktober bis 29. Februar zusammen, um das bedeutendste trabrennsportliche Meeting der Welt auf einen kurzen Nenner zu bringen.
Bei den 90 Réunions (Renntage) waren in 747 Prüfungen 3.255 Pferde, 702 Trainer und 631 Fahrer und Reiter engagiert.
Wenngleich die Vierbeiner die eigentlichen Sportler und Aushängeschilder sind, gilt doch die Titelzeile oder neudeutsch Headline den Zweibeinern, die auch im Schlaraffenland Frankreich immer beim Pferd bleiben müssen.
Ende 2019 hieß der französische Fahrerchampion zwar erstmals in diesem Jahrtausend nicht Jean-Michel Bazire - er wurde gar nur Vierter -, doch in seinem Wohnzimmer Vincennes machte der Liebling der „turfistes“ mal wieder Tabula rasa. Schon im Vorwinter hatte der damals 47-jährige als Trainer die alte Bestmarke auf 71 angespannte und gesattelte Sieger verbessert. Ein Rekord für die Ewigkeit, dachten so gut wie alle. Doch „JMB“ legte nicht nur einen, sondern 12 Punkte drauf: Dorgos de Guez holte am Schlusstag im Prix du Plateau de Gravelle für den und mit dem Meister den 83. Treffer für dessen Quartier, was „JMB“ kommentierte: „Im Vorwinter hatte ich nur 220 Starter, diesmal waren es 353. Das betraf vor allem die ersten Wochen, in denen ich viel mehr Pferde startete, um sie in Schwung zu bringen. Echte Enttäuschungen gab es kaum, es lief fast alles wie geplant. Das hat mir und meinem Team, das hervorragend mitgezogen hat - ich kann mich gar nicht genug bedanken -, trotz der immensen Arbeit viel Spaß gebracht. Die Laune war über den gesamten Winter bestens. Ich denke, das ist wichtig, denn es strahlt auf die Pferde ab.“
Weil er viele Big-Points einsackte - immerhin drei der elf Prüfungen der Kategorie I (Davidson du Pont, Prix de France; Bélina Josselyn, Prix de Paris; Havana d’Aurcy, Critérium des Jeunes) gingen auf seine Kappe -, wundert es nicht, dass Sébastien Guaratos alte Winter-Bestmarke dran glauben musste in der Sparte, die den Professionals letztlich am dichtesten am Herzen liegt: dem lieben Geld. Dessen bislang größten Kassensturz von 3.520.000 Euro aus dem Winter 2015/2016 übertraf Bazire um fast 200.000 Euro. Dabei hat er sogar noch Luft nach oben, denn die Bilanz bei den Satteltrabern ist deutlich ausbaufähig. Beim Traber-Nachwuchs hat er heuer schon aufgeholt.
„60 Längen“ hinter dem Kannibalen Bazire landeten Philippe Allaire, der Meister der jungen Talente, und Laurent-Claude Abrivard mit je 23 Siegen auf den Plätzen zwei und drei. Wobei die wenigen alten Recken wie Arlington Dream und Traders Allaire komplett im Stich ließen und auch die Jungen längst nicht so viel dominierten wie in früheren Zeiten. Abrivard senior wiederum entpuppte sich immer mehr als einzigartiger Vorbereiter für Satteltraber. Ihm gelang dank seines besten Vollstreckers, Filius Alexandre, mit Bilibili das Monté-Triple mit Siegen im Prix du Calvados, Prix de Cornulier und Prix de l’Île de France, das dem Niky-Sohn neben den ohnehin üppigen 427.500 Euro einen Bonus von 100 „Mille“ bescherte.
Je 22 Sieger nahmen Sébastien Guarato, Christian Bigeon und Jean-Michel Baudouin in Empfang. Guarato hat schon weit bessere Winter erlebt, doch dicke Trostpflaster waren die vier Gruppe-I-Triumphe durch Face Time Bourbon (Critérium Continental, Prix d’Amérique, Prix de Sélection) und Gunilla d’Atout (Critérium des 3 Ans). Für alle war Björn Goop der Verwandler, der damit in dieser speziellen Wertung die Nase vor „JMB“ (3) hatte.
Bemerkenswert: Mit lediglich zehn Pferden gelangen Charles Dreux, eine der Entdeckungen dieses Winters, neun Siege, die überstrahlt wurden von Platz zwei seiner Etoile de Bruyère im Prix de Cornulier.
Bei den im Ausland lizenzierten Trainern war Alessandro Gocciadoro (7) die Nummer eins vor Björn Goop (6).
Eric vor dem Meister
…lautete der „kleine Einlauf“ bei den „Drivers“, wobei Eric Raffin am 31. Dezember in der 2019er Gesamtwertung von Siegen in Attelé und Monté Bazires alten Saisonrekord von 345 Ehrenrunden aus dem Jahr 2006 einstellte. 69 Mal fuhr der Mann aus der Vendée im Laufe des Meetings zur Ehrung vor, 58 Mal durfte „Jean-Mi“ ran, der kaum noch für Fremdfahrten zu buchen ist, viele Fuhren im eigenen Stall an seine Angestellten abgibt und sich mit dem eingangs beschriebenen überragenden Erfolg lieber intensiv der Trainingsarbeit widmet. König und Kronprinz schätzen sich im Übrigen sehr. So durfte Raffin beispielsweise im Finale des GNT, als Bazire ein Fahrverbot abbrummen musste, mit Cleangame ran und verwandelte mit dem besten aktiven Wallach der Welt traumwandlerisch sicher.
Weil er auch Spitze bei den Jockeys war, stellte er mit 93 Siegen einen neuen Meeting-Rekord auf und löste auch darin sein großes Vorbild ab: Im Winter 2018/19 war Bazire - ausschließlich im Fahren, die Monté-Bewerbe hat er vor zehn Jahren ad acta gelegt - 88 Mal „Klassenbester“.
Top 5 der „Drivers“ (Siege)
Eric Raffin 69
Jean-Michel Bazire 58
David Thomain 37
Matthieu Abrivard 35
Franck Nivard 32
Top 5 der Jockeys (Siege)
Eric Raffin 24
Alexandre Abrivard 19
Mathieu Mottier 15
David Thomain 14
Adrien Lamy 12
Die Vierbeiner
Obwohl erst an zweiter Stelle unter die Lupe genommen, gebührt den Pferden das hellste Rampenlicht. Geht man nach der Anzahl der Siege, war Douxor de Guez mit fünf Treffern, für die er sieben Anläufe benötigte, ihr Primus. Gewonnen hat der Schützling Jean-Michel Bazires auf den Ebenen E bis B jedoch „nur“ 101.250 Euro. Der am kräftigsten blinkende Stern war Face Time Bourbon, der ein grandioses Meeting hinlegte. Wäre da nicht die knappe Niederlage im Prix de France gegen seinen Erzrivalen Davidson du Pont gewesen, hätte der Guarato-Eleve für seine aus den Herren Antonio Somma, Pierre Pilarski, Renato Bruni, Rainer Engelke und Sébastien Guarato bestehende Besitzergemeinschaft einen perfekten Winter gehabt. Fünfmal war der französische Nachfolger solcher Cracks wie Ready Cash und Bold Eagle am Start, nach vier Siegen und einem Ehrenplatz waren 717.500 Euro im Sack des Fünfjährigen, der von 24 Starts überhaupt nur drei reell verloren hat. Davidson du Pont und Bélina Josselyn, die sich mit dem zweiten Sieg im Prix de Paris standesgemäß als Primaballerina von ihrer auch außerhalb Frankreichs immensen Anhängerschar in die Zucht verabschiedete, waren die Nächsten auf der Gehaltsskala.
Monté-Gigant Bilibili baute das Kunststück aus, bei keinem seiner 16 Fahrversuche auch nur einen Cent zu verdienen. Zwei interesselose Attelés zu Beginn dienten lediglich dem Formaufbau fürs Satteltraben, wo der Niky-Sohn dreimal erbarmungslos zuschlug und im Prix de l’Île de France von Etonnant zum neuen Bahn- und Frankreich-Rekord von 1:10,0 in dieser Disziplin getriezt wurde.
Bei dieser Bestmarke verwundert es umso mehr, dass der absolute Vincennes-Rekord zum 13. Mal in Folge nicht wackelte noch wankte: Seit dem Sieg von Kool du Caux im Prix de France am 11. Februar 2007 steht er felsenfest bei 1:09,8.
Top Ten der Pferde (Alter, Geschlecht) - Starts im Winter-Meeting - Siege - Gewinne in Euro
Face Time Bourbon Davidson du Pont Bilibili Bélina Josselyn Etoile de Bruyère Gu d’Héripré Gunilla d’Atout Havana d’Aurcy Evangelina Blue Feeling Cash |
5j H 7j H 9j H 9j St 6j St 4j H 4j St 3j St 6j St 5j H |
5 7 5 8 7 6 5 6 7 6 |
4 2 3 2 1 4 3 4 2 - |
717.500 447.400 427.500 332.500 262.200 220.350 219.500 211.500 211.200 191.000 |
Aufgrund seiner Gewinnsumme nur drei Attelé-Chancen hatte der Wallach Cleangame, die er allesamt trotz zum Teil 50 Metern Zulage mit Bravour verwandelte. Seit dem 18. Januar kann er sich mit 149.500 Euro frischem Reisegeld in Ruhe auf im restlichen Europa anstehende Aufgaben vorbereiten. Speziell die nordeuropäischen Veranstalter reißen sich um ihn; erster Andock-Punkt könnte der Paralympia-Travet zu Åby sein.
Schwer auf die Mütze bekamen neben den deutschen die schwedischen Traber. Deren maues Endergebnis war insofern zu erwarten, als sie bei den für sie offenen Großereignissen entweder gar nicht oder wie im Prix d’Amérique Ringostarr Treb, Milligan’s School und selbst Doppel-Europameister Propulsion unterirdisch präsent waren. Kaperten sie sonst über Winter stets um die 1,5 Millionen Euro für den hohen Norden, so mussten sich die Tre Kronors heuer mit 759.450 Euro zufrieden geben, was rund 3 Prozent des ausgeschütteten Preisgeldes entspricht im Gegensatz zu 5,22 Prozent beim Meeting 2018/2019. Obwohl immer mehr „Sveriges“ den Run aufs große Geld versuchen und die Guld- und Silverdivisionen ihrer Heimat in dieser Zeit regelrecht ausgeblutet sind, schafften sie lediglich 12 Siege; in der Spitzenzeit 2014/2015 waren es deren 25.