Bunter Strauß aus Favoriten und Außenseitern

(nn) East Rutherford / New Jersey, Samstag, 8. August 2020. 16 Rennen, 3.723.150 Dollar an Rennpreisen - trotz der wegen der Corona-Krise darbenden Ökonomie sogar ein Schnaps mehr als im Vorjahr, als die Welt noch nicht aus den Fugen geraten war: Nordamerika zelebrierte, abgesehen von den Breeder’s-Crown-Events, den üppigsten Renntag für zwei- wie vierbeinige Sulkysportler an der nobelsten Adresse im Nordwesten des Big Apple.
Abstriche musste man beim weltweiten Umsatz machen, der rund 770.000 USD unter jenem des Vorjahrs lag. Dennoch waren die 5.730.615 umgerubelten Dollar das 2020 bei weitem höchste Ergebnis in Nordamerika.
Titelverteidigerin geputzt
Gab es an diesem Nachmittag bei herrlichem Rennbahnwetter um 27 Grad einen „Elfmeter ohne Torwart“, so war der für Manchego aufgelegt. Die Dreifach-Weltrekordlerin hatte nur einen ihrer fünf diesjährigen Auftritte verloren - und den äußerst knapp gegen Atlanta. Im Dr. John Steele Memorial, das den Reigen der sechsstellig dotierten Prüfungen eröffnete, hatte es die Muscle-Hill-Tochter nach Absage von Felicity Shagwell mit lediglich vier Rivalinnen zu tun, die ihr nach keiner Form das Wasser reichen konnten.
Dexter Dunn schien vor einer Spazierfahrt mit der 2,3-fachen Millionärin zu stehen, die wie gewohnt behäbig loslegte und hinter Plunge Blue Chip, When Dovescry und Princess Deo lediglich als Vierte unterschlüpfte. Das war durchaus nicht ungewöhnlich für die Muscle-Hill-Tochter, der Dunn gegenüber die Beine langmachte. Wie ein Pfeil schoss die Fünfjährige an den Vorderfrauen vorbei in Front und schien noch ausgangs der Schlusskurve voll auf den ersten Scheck gepolt. Es kam völlig anders.
Die 400 Meter vorm Ziel in Spur zwei dirigierte When Dovescry wurde unter Dave Millers kontrolliertem Einsatz immer stärker und gewann gegen eine müde Manchego die Oberhand, die auch gegen die innen durchschlüpfende Plunge Blue Chip keine Reserven hatte und mit Platz drei die schlechteste Platzierung der laufenden Saison einrannte.
Für den „Schrei der Taube“ scheint sich die Nobelbahn zum Wohnzimmer zu mausern: Nachdem sie im Vorjahr die Oaks auf ihre Kappe gebracht hatte, griff sie nun in persönlicher Bestzeit von blanken 1:50 / 1:08,4 mit dem ersten Saison- und elften Karrieresieg den nächsten renommierten Pott ab. Der nunmehr 1.111.243 Dollar schweren When Dovescry, die auf der Lexington-Auktion 2017 stolze 205.000 USD erbracht hatte, wand ihr Trainer Brett Pelling güldene Kränze:
„Sie ist eine Ausnahmekönnerin, von der man nur träumen kann, perfekt in ihrem Können, lässt sich leicht trainieren und handhaben und hat keine Marotten. Steckt sie dieses epische Match gut weg, was wir in den nächsten beiden Tagen genau beobachten werden, hat sie am nächsten Wochenende in Tioga eine weitere passende Aufgabe. Das nächste Ziel ist jedoch die große Rennwoche in Kentucky Ende September. Wir hatten Glück, dass Manchego heute sicher nicht auf Hundert war. Ich beobachte die Stute seit Jahren - sie ist das perfekte Rennpferd, was Einsatz und Aktion angeht. Ein Traum für jeden Trainer und ein Genuss, ihr bei der Arbeit zuzuschauen.“
Dr. John Steele Memorial (Stuten aller Altersklassen)
1609m Autostart, 166.550 USD
1. When Dovescry 08,4 David Miller 56
4j.dklbr. Stute von Muscle Hill a.d. Cedar Dove von Andover Hall
Be: Sarrazin, Singh & Soulsby, Dumain Haven Farm & John Lengacher; Zü: William Weaver III; Tr: Brett Pelling
2. Plunge Blue Chip 08,4 Åke Svanstedt 88
3. Manchego 08,5 Dexter Dunn 11
4. Kenziesky Hanover 08,7 Corey Callahan 410
5. Princess Deo 09,0 Andrew McCarthy 572
Sieg: 56; Richter: sicher ½ - ¾ - 2 - 2 Längen; 5 liefen (NS Felicity Shagwell / Attest)
Gimpanzee hat zu knabbern
Fast hätte es im John Cashman Memorial, dem früheren Nat Ray Trot für die etwas älteren trabenden Größen, von dessen 284.200 Dollar großen Kuchen sich mit Atlanta auch eine Stute eine dicke Scheibe abschneiden wollte, den nächsten Sturz eines „Unverlierbaren“ gegeben. Bis weit in den Einlauf sah es ganz danach aus, als solle der erstmals außerhalb seines Jahrgangs aktive Gimpanzee beim fünften Saisonstart einen Bezwinger finden.
Viermal war der 2017 in Harrisburg für 170.000 Dollar von den schwedischen Courant AB und SRF AB ersteigerte Chapter-Seven-Sohn heuer mit den Altersgefährten in den wenigen lukrativen Vierjährigen-Vergleichen gnadenlos Schlitten gefahren und hatte 401.200 Dollar gebunkert, womit er der Großverdiener des nordamerikanischen Traberlagers war.
Standardfahrer Brian Sears brachte den „Affen“ wie gewohnt verhalten ins Rennen und lediglich als Siebenten unter, derweil Yannick Gingras nicht lange fackelte, mit Atlanta sein Heil in der Flucht versuchte und Guardian Angel Ås ausgangs der ersten Kurve mit einem überfallartigen Angriff in der Führung ablöste. Früh auf Attacke gepolt war aber auch Lindy the Great. Mit dem Sechsjährigen, dem mit 46.408 Dollar Saisoneinkünften aus fünf Versuchen noch nicht allzu viel - und vor allem kein Sieg - gelungen war, setzte Andy Miller die Pilotin gehörig unter Druck.
Der schmeckte diese Massage gar nicht. Auf der Zielgeraden war’s zumindest um Platz eins und zwei rasch um die Hambo-Siegerin von 2018 geschehen, wogegen Lindy den Marsch als Drücker bestens wegsteckte und einfach nicht müde werden wollte. Den bei 16:10 massenhaften Anhängern Gimpanzees schwante Übles, als dieser 300 Meter vorm Ziel noch immer drei Längen Rückstand auf den Leader und Sears nicht mehr allzu viel in Händen hatte.
Dann jedoch bewies der letzte der drei „G“-Musketiere, der Marcus Melander geblieben ist - Greenshoe ist längst zur Zucht verschwunden, Green Manalishi weilt in Schweden und wird fürs dortige Derby von Onkel Stefan präpariert -, wie er die Zähne zusammenbeißen kann, wenn’s drauf ankommt. Sears langte zwei-, dreimal zu, dann hatte Gimpanzee den akuten Ernst der Lage begriffen, streckte sich und schlug den aufmüpfigen Lindy the Great halbwegs sicher um eine knappe Länge aus dem 284.200 „Bucks“ wertvollen Feld.
Die nächste Überraschung war der wie Gimpanzee 2016 geborene Soul Strong, der aus dem Hintertreffen Atlanta für „Bronze“ knapp das Nachsehen gab. Guardian Angel Ås, im Vorjahr gewinnreichster älterer Trotter, streckte zu Beginn der Zielgeraden in dritter Innenposition die Waffen im Galopp. Marion Marauder, der zum fünften Mal am „Hambo Day“ seinen Hut in den meilenweiten Ring warf - Höhepunkt war der Hambo-Sieg 2016 nach einem wahren Thriller -, kam nie von hinten weg und schlug als Letzter der ungeschoren, sprich ohne Galoppade um den Parcours gekommenen Kandidaten an.
„Das war eine echte Härteprobe, bei der es durchaus nach der ersten Saisonniederlage roch“, gestand Melander, „doch selbst wenn er verloren hätte, wäre ich mit ihm zufrieden gewesen. Schließlich hat er sich erstmals mit den Älteren, Erfahrenen gemessen, und bei denen hängt die Latte eben doch ein bisschen höher.“
Der Braune mit der markanten Kopfzeichnung steht weiter mit biltzblanker „Saisonweste“ da, die er auch schon zweijährig nach neun Auftritten angehabt hatte. Und weil seine Besitzer Anders Ström und Lennart Ågren Schweden sind, dürfte ein Auftritt im Elitloppet 2021 - dann hoffentlich vor prall gefüllten Zuschauerrängen - keine Utopie bleiben, wie Melander unterstrich.
John Cashman Memorial (ehemals Nat Ray Trot) (ältere Traber)
1609m Autostart, 284.200 USD
1. Gimpanzee 08,4 Brian Sears 16
4j.dklbr. Hengst von Chapter Seven a.d. Steamy Windows von Muscle Massive
Be: Courant Inc. & SRF Stable, SE; Zü: Order by Stable (Stefan Balaszi), SE; Tr: Marcus Melander
2. Lindy the Great 08,5 Andy Miller 296
3. Soul Strong 08,7 Dexter Dunn 163
4. Atlanta 08,9 Yannick Gingras 35
5. Crystal Fashion 08,9 Jordan Stratton 776
6. Marseille 08,9 Åke Svanstedt 783
7. Marion Marauder 09,1 Scott Zeron 195
8. Guardian Angel Ås 09,4g Tim Tetrick 110
9. Don’t Let’em 11,3g Jimmy Takter 294
10. Run Director 12,1g David Miller 671
Sieg: 16; Richter: Kampf ¾ - 2½ - ½ - ¼ - 1¾ - 2¼ Längen; 10 liefen (NS Forbidden Trade / lahm, Pikachu Hanover / Attest)
Favoritensache bei den jungen Damen…
…lautete die Devise zunächst bei den „Jugendspielen“. Glasklare Chefin im Ring der zweijährigen Traber-„Fillies“ war Darlene Hanover, die vor einer Woche eine der Qualifikationen zum James Doherty Memorial, dem einstigen Merrie Annabelle Trot, als 124:10-Außenseiterin in 1:11,3 gewonnen hatte, heute nicht schneller laufen musste und für doppelte Sieg-Odds zu haben war.
„Als ich die Auslosung gesehen habe, ahnte ich, dass wir von der ‚6‘ nie die Innenkante sehen würden. Ein wenig Deckung hätte ich mir draußen schon gewünscht. Als die nicht kam, musste sie es eben allein bewerkstelligen. Ich dachte, ich hätte das beste Pferd, und Darlene hat das auf jedem Meter bestätigt“, verriet der Mann des Tages Andy McCarthy und versah es mit der 130.000-Dollar-Lady (Harrisburg 2019) auf die harte Tour.
Mit gewaltigem Antritt schnappte sich von der „8“ Ixia Maculata vor May Karp und Sel’s Choice das Zepter und reichte es kurz vor Halbzeit an Mazzarati weiter, womit der äußere Fahrtwind der Favoritin um die Nase wehte. Das machte der nicht das Geringste aus - im Gegenteil. Als mache ihr ein solcher Run Spaß, legte die Chapter-Seven-Tochter auf den finalen 300 Metern eine ordentliche Schippe drauf, die innere Garde zu den Akten und war auch von ihren Schattenfrauen Material Girl und Hot as Hill kein Stück zu erschüttern.
Souverän kreuzte die von Brett Bittle vorbereitete Stute drei Längen voraus beim dritten Versuch zum zweiten Mal die Linie als Klassenbeste und machte im Handumdrehen aus mageren 13.550 US-Dollar deren 188.700. All jene, die es anfangs so eilig hatten, kamen ziemlich unter die Räder. Am besten hielt sich noch Mazzarati, die die fünfte Prämie kassierte. „Eile mit Weile“ hätte sich zum Beispiel auch Ineffable auf die Fahne geschrieben haben können, die für Marcus Melander von vorletzter Position viel Boden gut machte und sich den dritten Scheck einverleibte.
James „Jim” Doherty Memorial (Merrie Annabelle Trot) (zweij. Stuten)
1609m Autostart, 350.300 USD
1. Darlene Hanover 11,6 Andrew McCarthy 20
2j.dklbr. Stute von Chapter Seven a.d. Danielle Hanover von Cantab Hall
Be: Yankeeland Partners; Zü: Hanover Shoe Farms; Tr: Brett Bittle
2. Material Girl 12,0 Tim Tetrick 56
3. Ineffable 12,5 Brian Sears 440
4. Sel’s Choice 12,6 Mark Macdonald 686
5. Mazzarati 12,8 Scott Zeron 70
6. Hot as Hill 13,0 Joe Bongiorno 359
7. Ixia Maculata 13,1 Mattias Melander 1224
8. Altar 13,3g David Miller 40
9. May Karp 14,6g Dexter Dunn 232
10. Avenir 16,1g Yannick Gingras 370
Sieg: 20; Richter: überlegen 3 - 4½ - ¾ - 1¾ - 1½ - ½ Länge; 10 liefen
Trainer: Bittle – Engblom – Melander – Landy – WallinVäter: Chapter Seven – Muscle Hill – Cantab Hall – Muscle Hill – Cantab Hall
…Toto-Schocker bei den 2018er Jungs
War bei den zweijährigen Fillies Muscle Hill als Pascha mit den Plätzen zwei und vier unter dem normalen Limit geblieben, so schlug der Vererberstar im Peter Haughton Memorial umso gnadenloser zu. Die Hälfte des Starterfeldes war von ihm gezeugt worden, durch den Love-You-Spross Venerate ging lediglich eine Prämie an das Kind eines anderen vom Tisch - und dessen Mutter ist eine Muscle-Hill-Tochter!
Das an den in jungen Jahren tödlich verunglückten Sohn von Altmeister Billy Haughton erinnernde Memorial war nichts für schwache Nerven und die Favoritenwetter, die gnadenlos gerupft wurden. Für den Father-Patrick-Sprössling Plumville Prince hatte sich die Angelegenheit bereits beim Anrollen des Startautos erledigt, für den Southwind-Frank-Nachkommen Type A, der sich die Spitze mit einem geharnischten Zwischenspurt nach 600 Metern von Moonstone gekrallt hatte und vom ins schwedische Gestütbuch eingetragenen Melander-Trainee wenig später wieder abgelöst wurde, bei eben jenem Abschluss der Rochade.
Viel schonender hielt Brian Sears mit den Kräften seines Partners Zenith Stride Haus, versteckte ihn im vierten Paar innen, hängte sich an den zu Beginn des Schlusskurve in Spur zwei wechselnden Venerate und setzte sich mit dem Muscle-Hill-Sohn ohne einen Handschlag ganz sicher mit zwei Längen durch. Sears, kein Viel-, sondern ein „Effektiv-Fahrer“ für die großen Momente des „harness sport“, hat schon so einige unerwartete Dinger gedreht, jedoch vielleicht noch nie in seiner mehr als 10.000 Siege umfassenden Karriere ein solches Kaninchen aus dem Hut respektive dem Helm gezaubert.
Der Siegpreis von 159.500 Dollar war das erste Geld überhaupt, das der 350.000-Dollar-Jährling (Harrisburg 2019, Nummer 44) in den Stall von Trainer Mark Harder mitgebracht hat: Die ersten beiden Ausfahrten hatte er im Galopp versiebt, die Elimination vor einer Woche er als Sechster beendet. Entsprechend schockierend war die Quote von 885:10, die der 52-jährige seinen Fans bescherte. Er selbst übersprang als fünfter Fahrer weltweit die „Einfuhr-Grenze“ von 200 Millionen Dollar.
„Ich mochte den Hengst vom ersten Augenblick. Er hat zwar seine Eigenarten und ist noch nicht ganz sicher, doch ich hab nie das Zutrauen in ihn verloren. Ich war überzeugt, er müsse nur ein bisschen reifen und sich mehr konzentrieren, dann würde das schon“, fand sich der Sonnyboy aus Florida im Nachhinein „against all Odds“ bestätigt.
Peter Haughton Memorial (zweij. Hengste & Wallache)
1609m Autostart, 319.000 USD
1. Zenith Stride 11,6 Brian Sears 885
2j.dklbr. Hengst von Muscle Hill a.d. Open Access von Credit Winner
Be: Emilio & Maria Rosati; Zü: Fair Winds Farm; Tr: Mark Harder
2. Moonstone 11,8 Tim Tetrick 125
3. Venerate 11,8 Andy Miller 74
4. Media Mogul 12,1 Andrew McCarthy 1336
5. Locatelli 12,2 Dexter Dunn 32
6. Caruso 13,5 David Miller 182
7. Type A 13,6g Yannick Gingras 41
8. Spy Booth 14,0 Joe Bongiorno 557
9. Incentive 14,8g Mark Macdonald 1925
10. Plumville Prince 21,3g Scott Zeron 29
Sieg: 885; Richter: leicht 2 - ¼ - 1½ - 1 - 10½ - ½ Länge; 10 liefen
Trainer: Harder – Melander – Julie Miller – Ducharme – Takter
Väter: Muscle Hill – Muscle Hill – Love You – Muscle Hill –Muscle Hill