Züchter- und Besitzerreise nach Cherbourg: Vive la France!
Vom millionenschweren „Big Boss“ Ready Cash, den Cracks von Fabrice Souloy, einer verträumten Piste in Cherbourg mit Meeresblick: Frankreich als das Traber-Herz Europas. Die HVT-Gäste erleben zu Besuch bei Freunden, was Rennsport als Kulturgut heißt – 48 Stunden im Zentrum des Traber-Weltgeschehens!
Für ein langes Wochenende machten sie sich auf den 800-Kilometer-Weg einer zweimal Zehn-Stunden-Bustour in die Normandie: 22 Züchter und Besitzer aus Berlin, Nord und West (die Bayern sagten in letzter Minute leider ab) starteten am ersten September-Wochenende auf ins gelobte Traberland Frankreich: Eingeladen von der Züchtervereinigung CHEVAL FRANCAIS hatte das HVT-Präsidiumstrio mit Heinz Tell, Maren Hoever und Otto Kleverbeck samt der charmanten, unverzichtbaren Dolmetscherin Michèle Durand (Ehefrau des verstorbenen Trabertrainers Kurt Hörmann) plus den gastfreundlichen Hausherren ein glänzendes Programm zusammengestellt: Wann lässt sich schon ein Rendezvous mit Ready Cash, dem in jüngster Zeit besten Traber der Welt, mit Ausnahme-Trainern wie Philippe Allaire oder Fabrice Souloy arrangieren?
Wir besaßen das Glück, mitten ins Traber-Herz Europas zu gelangen und Ambiente, gelöste Stimmung und gelassene Gastfreundschaft in der Weite der Normandie zu genießen – dem HVT und den blau-weiß-roten Gastgebern sei Dank.
TAG EINS – Reise nach Frankreich und Besuch bei Fabrice Souloy
Auftakt zu frühmorgendlicher Stunde auf der Trabrennbahn in Gelsenkirchen: Der Trödelmarkt am Parkplatz beginnt leicht trödelnd, und für uns beginnt eine schier unendliche Busfahrt. Aber belohnt am Ende des Tages mit Senior „Papi“ Souloy, dem Gestüt „Haras de Ginai“ (nur wenige Kilometer vom französischen Staatsgestüt Haras du Pin entfernt) und der bis in die kleinste Petitesse geführten Welt eines Ausnahmegestüts wie dieses von Fabrice Souloy (den „Guru“, wie ihn manche Franzosen nennen). Mit Alain Roussel und Philippe Allaire hatte er gewiss auch einige der besten Lehrmeister unter der Tricolore.
Unterwegs viel Aufregung wegen des Starts von Cash Hanover mittags in Vincennes in einem 85 000 Euro-Rennen: Vergebens suchen wir auf der Reise nach einer WLAN-Chance, um das Rennen zu sehen. Aber schnell spricht sich nachher herum: „Cash“, der Berliner Derby-Mitfavorit, wird bei seinem ersten Auslandsstart immerhin Vierter – gesteuert von Pierre Vercruysse, einem Elite-Fahrer. Auch in diesem Rennen hat Trainer Philippe Alllaire einen Starter: Traders gewinnt überlegen mit vier Längen Vorsprung – mit Jos Verbeeck (dem „belgischen Teufel“) im Wagen.
Erst am frühen Abend stoppen wir vor der Tür von Fabrice Souloy, dem 48-jährigen Ausnahme-Trainer: Seine bisherige 2015er-Bilanz ist makellos – 63 Siege und 136 Plätze bei 415 Starts. „Er zählt inzwischen zu den ganz Großen im Geschäft, bringt es jährlich auf drei bis vier Millionen Euro an Preisgeldern“, weiß HVT-Präsident Heinz Tell, ein Frankreich-Kenner. Souloys jüngster Crack heißt Lionel und überzeugt mit neun Siegen in den letzten 17 Rennen – am Tag des Cash-Starts in Vincennes gewinnt er locker den Prix d’Eté über 2700 Meter – in 1:12,1! Wie fast immer sitzt auch diesmal Fahrer-Crack Franck Nivard im Wagen.
„Papi“ Souloy, der Vater des Gestütsherrn, empfängt uns: Von schmächtiger Gestalt wie Hans Frömming, sehr beredsam, überaus kundig, eigentlich eine Koryphäe für Krebserkrankungen (Chirurg), mit guten Erinnerungen an Deutschland („Paddeln auf dem Bodensee und Wandern im Schwarzwald, wie schön war das!“). Er schwärmt – aber natürlich vor allem vom Gestüt. Immer wieder betont er den Charakter als Familienunternehmen: „Wir sind hier zu drei Parteien, jeder bewohnt eine Etage.“ Der Chef wohnt, samt Swimmingpool, im Haupthaus. Erst seit 2001 befindet sich das Anwesen im Besitz der überaus professionellen Familie: 200 Hektar weitläufig in der Fläche, 25 eigene Mutterstuten, 120 bis 130 Pferde in Training. Wie alle großen französischen Pferde-Kenner schickt auch Souloy gnadenlos wieder nach Hause, wenn er bei seinen „Kunden“ nicht in kurzer Zeit Fort-Schritte sieht - ganz im Sinne des Wortes.
„Luft, Luft, Luft“, ruft „Papi“ und meint, wie wichtig das Atmen für die Souloy-Cracks ist: „60 000 Kubikmeter Luft wälzen wir in den Stallungen täglich um.“ Tonnenweise kommt das Kraftfutter aus Schweden. „Alle zwei Wochen untersucht unser spezieller Tierarzt aus Italien die Pferde“, berichtet der Senior. Fünfmal täglich gibt es – automatisch zugeteilt – Futter für die Vierbeiner. Wasser füllen die 22 Stallleute (aus Frankreich, aber vorzugsweise auch aus Skandinavien, Italien oder Holland) mit kritischem Blick auf das Trink-Verhalten der Cracks selbst nach. Papi lobt die Mannschaft: „Viele junge Frauen dabei – sie sind oft viel besser als die Männer“, lacht er. Hier arbeite man gern mit Ausländern: „Wir vertrauen ihnen.“
Wir sehen die Führanlagen, die Trainingsgeraden mit ihren unterschiedlichen Belägen und Untergründen – da mag man glauben, dass die Cracks zur Erholung (fast) wie auf Watte laufen… Im 45 Meter langen Pool müssen sich die Pferde frei bewegen, unablässig von ihren Pflegern und Pflegerinnen beobachtet und betreut. Bei Souloy wird, so scheint es, an nichts gespart. Irgendwo hängt ein riesiges Farbfoto vom Stockholmer Elitloppet 2008 – mit Spinnweben behaftet. Bei Souloy steht, so scheint es, die Zukunft im Vordergrund. Und auch im Verlauf dieser Saison wird, ganz gewiss, zu seinen 80 Siegen in Gruppe-I-Rennen noch der eine oder andere Triumph hinzukommen – stets in den sechsstelligen Preisklassen...
(Info: info [@] harasdeginai . net - Leerzeichen und Klammern entfernen)
TAG ZWEI – Renntag in Cherbourg
Als führen wir direkt zur Cote d'Azur – so gleißend liegt am Sonntagmorgen die Sonne über den normannischen Feldern, den Hecken und Hügeln dieser im Krieg so blutig heimgesuchten Landschaft: Wir fahren nach Cherbourg – auf einen charmanten, übersichtlich in die Landschaft gebetteten Rennplatz. Die Piste? Leicht rötlicher Belag à la Recklinghausen zu seligen Zeiten. Von der Tribüne aus geht der Blick durch eine Lücke im Grün direkt auf das Meer Richtung England. „Vor 37 Jahren standen hier vielleicht ein paar Bretter-Paddocks, aber sonst nichts“, staunt HVT-Vizepräsidentin Maren Hoever über die stürmische Entwicklung dieser Piste, seit sie – damals in den späten Siebzigern - dort zu Besuch war.
Die Tribüne, die Rails, die Stallungen, das Gelände, der romantische kleine See (à la Mariendorf) in der Höhe des Ziels – alles atmet liebevolle Detailarbeit. Das Geheimnis lüftet sich schnell: „Wir beschäftigen hier nur einen einzigen Angestellten in Lohn und Brot. Alles andere geschieht allein durch freiwillige Helfer“, erläutert Vereinspräsident Clovis Pottier. Kaum zu glauben – aber: „Ohne dieses Modell gäbe es hier keinen Rennbetrieb mehr. Selbst der Rennsekretär arbeitet ohne Bezahlung“, unterstreicht der Präsident. Sozialdienst am Pferd, sozusagen – (k)ein Modell für die den Sport in Deutschland? Bei aller Professionalität im französischen Rennsport und den großen Summen, die dort bewegt werden – auch das ist französischer Trabrennsport!
Pottier könnte an diesem Sonnentag - einem von nur zehn Renntagen im Jahr – jedem Besucher einzeln die Hand geben: „Es sind 362…“ Der Umsatz bewegt sich in Bereichen, wie sie erfolgreiche C-Bahnen im deutschen Westen bei weitem übertreffen: Es sind an diesem Tag nur rund 25 000 Euro. Aber Cherbourg – einer von 225 (!) Traber-Kursen im Lande – ist diesmal auch nicht an das nationale PMU-Übertragungsnetz angeschlossen. Dergleichen nationale Renntage, an denen die ganze Nation und das Ausland auf Cherbourg wetten können, gibt es nur eine Handvoll pro Jahr. Denn jedes Traber-Oval im Lande will bedacht sein. Die PMU-Zentrale – immerhin einer der größten Wettanbieter der Welt mit Jahresumsätzen stets um die zehn Milliarden Euro – will und muss allen Bahnen gegenüber gerecht sein.
Monsieur Pottier und seine Mannschaft sind großzügige Gastgeber – „Leben wie Gott in Frankreich“ beweist sich für uns auch hier: mit Filet Mignon, Polenta, Pommes, Champignons, Salat, exquisitem heimischem Käse und fruchtigem Sorbet zum Finale.
Über allem liegt diese liebenswürdig-entspannte Sonntagnachmittag-Stimmung eines gelungenen Renntages – wäre da nicht die germanische Neigung, „Fünfe“ nicht gerade lassen zu können: Denn es sind – den kompletten Renntag über – Verkaufsrennen angesagt. Mancher Mitfahrer fiebert einem Erwerb entgegen – französisches Blut, führend in Europa! Schnell findet sich auch eine Gruppe, die vielleicht als Besitzergemeinschaft eine der begehrten jungen französischen Stuten erwerben will. Schade, mit „Bratislava“ klappt es nicht, unser Gebot liegt nicht weit - aber doch zu weit - vom Zuschlag. Das Ambiente ist leicht bizarr – auf dem Tisch in der Meldestelle steht eine historisch scheinende Holztruhe. Dort hinein wandern die Gebote – ein sehr ernsthaft-offiziell dreinblickender Mitarbeiter öffnet nach dem Rennen die Schatulle, liest vernehmlich und langsam die Gebote vor – „Ahh“ oder ein enttäuschtes „Ohh“ gehen durch den Raum. Doch siehe, am Ende gelingt es: Einer der engagierten Mitfahrer erwirbt die fünfjährige Stute „Annee Faste“, sie lief immerhin ein Jahr zuvor 1:16,3 in Vincennes und verdiente knapp 30 000 Euro. Züchter und Amateur Dr. Christian Ziegener aus Potsdam bekommt den Zuschlag! Die Truppe freut sich mit ihm – und Roland Hülskath in seiner Ranch bei Mönchengladbach bekommt einen neuen Schützling…
TAG DREI – Besuch bei Philippe Allaire
Es naht der Höhepunkt der Reise – aber zu dieser Schilderung gehören zwei Vierbeiner, die ausnahmsweise nicht zur hippologischen Rasse zählen: Hannibal und Harley Davidson, die beiden Jack Russells von Madame Gitte Allaire (einer gebürtigen Dänin, die wunderbar Deutsch spricht) empfangen uns zu früher Morgenstunde, mit – ja, wörtlich fast – Gold im Munde: Denn an den teuren Lederhalftern der Cracks im Gestüt von Philippe Allaire – hier war einst die Galopper-Dynastie Wildenstein zu Hause – befinden sich die Namen, als wären sie in Gold aufgetragen:
Ready Cash („The Big Boss“, wie er manchmal genannt wird), bewegt sich seiner geräumigen, mit schwarzen Lederpolstern umrahmten Box wie ein orientalischer Herrscher: Selbstsicher, gelassen und ausgesprochen „magnifique“ (großartig) präsentiert er sich – ganz Hengst. Ein absoluter Crack, das schönste Blatt an Frankreichs züchterischem Lorbeerkranz. „Er liebt es, draußen zu schlafen – so geben wir ihm eine Decke, suchen ihm einen Paddock, und dann bleibt er nachts unter freiem Himmel“, schildert Gitte Allaire eine der Lebensgewohnheiten des Zehnjährigen, der so gar keine Allüren eines älteren Herrn zeigt.
Seine Daten möge man sich auf der Zunge zergehen lassen: Gewinne von rund 4,3 Millionen Euro zwischen 2007 (als Zweijähriger gewann er seinen ersten Start in 1:21,1) und 2013 – dazwischen lagen zwei Siege im Prix d‘Amérique, insgesamt 40 Siege bei 70 Starts, davon 32 der Kategorien 1 (9) und 2 (23). Ein Pferd, das Trainer und Besitzer Allaire (heute ist „Ready“ zu 90 Prozent im Besitz von Anteilseignern, zehn Prozent bleiben bei Allaire), einmal den „Traber meines Lebens“ nannte: Welcher Pferdemann erlebt dergleichen? Aber das eigentliche Wunder dieses Pferdes, das viel Blut von seinen US-Vorfahren Florestan, Nevele Pride und Star`s Pride führt, liegt in seiner Qualität als Vererber: Allaire, dieser studierte, eloquente, über die Jahrzehnte ausgewiesene Pferdemann, schickte ihn bereits als Vierjährigen in die Beschälerbox, also 2009: Er zeugte 2010 bereits 84 Nachkommen, fast 70 Prozent qualifizierten sich in kurzer Zeit. Seither ging es mit „Ready“ als Deckhengst weiter aufwärts: Heute zahlen französische Züchter 18 000 Euro für einen Sprung. Für die züchterisch „armen“ Deutschen, Holländer, Belgier und Italiener lässt es Allaire mit 8000 Euro bei lebendem Fohlen gut sein – wissend: Es gibt derzeit kein erfolgreicheres Blut als das von „Ready“ in der Traber-Welt… Und sie stehen in der Decksaison ohnehin Schlange: Da kommt – fast Minute für Minute – eine andere Zuchtstute zum Zuge. Aber das „Paar“ sieht sich nicht, aus vielen gesundheitlichen Erwägungen gibt es keinen Natursprung von Ready Cash. Die Vermarktung aller Hengste von Philippe Allaire für Deutschland und Österreich erfolgt über Michèle Durand.
(Infos über e-mail michele-durand [@] gmx . net - Leerzeichen und Klammern entfernen)
„Haras de Bouttemont“ heißt die Heimat dieses Ausnahme-Trabers, dem seine Söhne Atlas de Joudes, Bird Parker oder Brillantissime vermutlich in wenigen Jahren kaum nachstehen werden. Zu Bird Parker, diesem Bild von einem Hengst, gibt es die hübsche Geschichte um seinen Züchter: Es ist Christoph Toulorge, der Gestütsmeister von Allaire. Aus der Paarung Ready Cash mit der eher wenig erfolgreichen, gleichsam nichtssagenden Belisha ging Bird Parker hervor – ein wahres Glück, denn der heute Vierjährige gewann bereits mehr als eine halbe Million Euro und wird seine soeben erst begonnene Karriere als Deckhengst gewiss erfolgreich fortsetzen – für lediglich 3000 (!) Euro bei lebendem Fohlen. Ein absolutes Discount-Angebot für deutsche und andere ausländische Züchter…
Hier in der absoluten „Höhle des Löwen“ zu sein, verdankt unsere Truppe allein Roman Krüger, dem Jüngsten in der krügerschen Traber-Dynastie: Als Freund von Heinz Tell und den Allaires arrangierte er den Besuch. Wahrlich nicht jedermann gelangt in die heiligen Hallen der absoluten Superstars Frankreichs. Krügers Gestüt befindet sich ca. 60 Kilometer entfernt: „Ich lebe ja schon seit Jahrzehnten in Frankreich“, sagt er. Vor kurzem war noch sein Bruder Gerhard, der 90-jährige Nestor der deutschen Trainer, bei ihm zu Besuch. Die „Krügers“ haben auch heute noch einen gewichtigen Namen in Frankreich…
Ja, hier bewegen wir uns im Umfeld des Schönen, reich Ausgestatteten und mit Kultur Gesegneten – das Herrenhaus scheint der Renaissance entwachsen, drinnen waltet stilecht ein Butler: Wir werden wie Staatsgäste behandelt und begrüßt. Hausherr Philippe Allaire führt am Cheftisch das Wort – alles atmet hier Klasse und eine gleichsam erhabene Ruhe.
Der Abschied von dieser Welt fällt schwer: Hannibal und Harley Davidson toben noch eine Weile hinter dem anrollenden Bus her. Ready Cash hat es sich wieder in seiner Box bequem gemacht und schaut, zu Recht, bedeutend in das weite Revier. Irgendwo am Ende der Trainingsgeraden lädt ein Flüsschen ein, die strapazierten Beine der Cracks zu kühlen. Allaire schwört auf die Heilkraft von Wasser – Henning Rathjen beispielsweise machte auf seine Kuren bereits vor geraumer Zeit in einem Interview in Hamburg aufmerksam.
So besitzt jeder dieser Großen in Frankreich sein Geheimnis – es ist ein Kosmos der Gabe, sich in das Pferd einzufühlen, seine „Seele“ zu erfassen und es – immer wieder von neuem – zu motivieren.
Frankreich, du hast es besser.
Wir fahren beeindruckt, fast sprachlos, heim. Die Chance für deutsche Traberfans, einmal im Herzen des europäischen Rennsports auch nur für einige Stunden Station zu machen, kehrt hoffentlich wieder. In dieser Saison half die PMU mit rund 200 Rennen (mehr als einer Million Euro an Preisgeldern), den deutschen Trabrennsport am Leben zu erhalten.
Merci bien und – hoffentlich – au revoir!
von Hans-Rüdiger Karutz, Berlin
Eine umfangreiche Fotogalerie der Reise haben wir auf unserer Facebook-Seite eingestellt - diese kann auch OHNE Login bei Facebook genutzt werden!
(16.09.2015)