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Ein Genie braucht kein Talent

Foto: traberpixx.de
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Deutschland

Zum 75. Geburtstag von Heinz Wewering

Eine Laudatio von Hermann Gallhoff und Dennis Kraum

Ein früher Morgen Anfang April 1964. Es ist ein diesiger Tag, an dem ein junger, schmächtiger Mann aus dem münsterländischen Albachten an der Recklinghäuser Stallpforte von Erich Speckmann steht. Es ist der erste Tag seiner Ausbildung zum Trabertrainer. Niemand ahnt zu dem Zeitpunkt, dass hier für den damals 14-jährigen Heinz Wewering, der ursprünglich bei seinem Onkel Theo Grieper im Galopper-Lager hatte anheuern wollen, dafür aber einfach zu hochgewachsen war, eine beispiellose Karriere ihren Anfang nimmt.

Auch wenn die allerersten Anfänge im Umgang mit der Fahrleine noch etwas holprig sind, kristallisiert sich schon bald nach dem ersten vollen Erfolg mit MORGAN VOM VEIINGHOF am 16. September 1965 auf der Hillerheide heraus, dass sich hier eine trabersportliche Koryphäe auf den Weg an die Spitze eines Metiers macht, das in Deutschland in den 70er- und 80er-Jahren in Sachen Popularität auf Augenhöhe mit dem Fußball ist und Heinz Wewering dabei sicherlich einer der Zugmaschinen auf dem lange anhaltenden Aufwärtstrend darstellt.

Wewering Rennberich 1 Sieg
Wewering jung

Bevor er 20 wird, begibt er sich nach einem Studienaufenthalt beim französischen Traberpapst Jean-René Gougeon in die Selbständigkeit. Auch wenn die Trainergemeinschaft Heinz Hampl und Otto Hoffmann für ihn noch zeichnet, hat er schon hier die Verantwortung über zwei Dutzend Traber, die er von einer kleinen Ranch in Marl-Sinsen zu den Rennplätzen entsendet, bevor die Trabrennbahn Recklinghausen schon bald sein Hauptquartier werden wird.

Erste Zuchtrennsiege mit Stall Freudenbergs GAMMLER und mit dem in den Farben des Stalles Ulrike laufenden REALIST stellen sich in den frühen 70ern ein. 1977 erringt er erstmals den Titel des deutschen Champions.

Schließlich 1981 für Hermann Mühlemeyer mit NOBLE STARDOM der erste Derby-Sieg. Zu diesem Zeitpunkt hat Heinz Wewering bereits das vierte Championat an seine Fahnen geheftet und den Grundstein dafür gelegt, dass er in Traberdeutschland fast drei Jahrzehnte Herrscher aller Reusen in einem „Haifischbecken“ von unzähligen Spitzenprofis sein wird.

Wewering Noble Stardom

Erster Derbysieg mit Noble Stardom

1983 VOLO PRIDE, 1987 TOPPINO und vor allem 1985 DIAMOND WAY sind weitere Derbysieger, dabei gelingt es dem Mann mit dem Goldhelm mit letzterem durch den Triumph im »Orsi Mangelli« in Mailand schon bald auch international verstärkt auf sich aufmerksam zu machen. Dies hat er natürlich umso mehr durch vier Europameister- (1978, 1979, 1984 und 1988) sowie zwei Weltmeistertitel (1993 und vier Jahre darauf), wobei der Triumph 1997 im eigenen Land sicherlich einen besonderen Höhepunkt in dieser einzigartigen Laufbahn darstellt.

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Mit Diamond Way vor vollen Rängen in Mailand (Foto: Hall of Fame)

1983 im November markiert Wewering mit CRYSTAL DUKE seinen 637 Jahreserfolg und überflügelt damit bereits den Kanadier Hervé Filion, der auf der anderen Seite des Atlantiks als unantastbarer Rennsport-Guru Geschichte geschrieben hat. Mit VOLMORO „settelt“ Heinz Wewering am 31. Dezember 1983 mit Sieg Nr. 707 dann eine Marke, die, was die reine Jahressiegzahl in Trabrennen abgeht, bis heute unerreicht geblieben ist.

Sieg Nr. 5.000 im Sommer 1984 mit OROYA in Recklinghausen, mit LAS VEGAS stößt er in Mönchengladbach 1987 in neue Dimensionen vor, als er den deutschen Rekord von 6.366 Lebenserfolgen von Altmeister Eddy Freundt auslöscht und schließlich im Dezember 1993 mit SCOTTIE GIRL in Dinslaken die 10.000er-Marke knackt. Bis zum 16.000. sollte es dann etwas weniger rasant zugehen. 2006 erreicht er mit FLOWER KRONOS in Rom diesen weiteren Meilenstein.

Derbyerfolge mit GRINGO, CHERGON, OSCAR SCHINDLER SL und zuletzt 2010 als Catchdriver mit UNIKUM bleiben unvergessen, genauso wie die vielen weiteren Zuchtrennsiege, die sich auf eine hohe dreistellige Zahl belaufen dürften. Durch die Hand des Mannes, der 2020 mit einem Platinhelm für seine Lebensleistung ausgezeichnet wird, gingen zahllose Spitzenpferde, die aufzuzählen den Rahmen dieser Laudatio sprengen würde. BABESIA, CAMPO ASS, CHARMY SKEETER, NUKE IT LINSAY, LISAS BOY, FAMOUS LAD, DOUBLE CROWN und EVITA IDZARDA seien neben den zuvor Genannten nur stellvertretend erwähnt.

Wewering Platinhelm

Unter den rund 17.000 Siegen im Sulky, die dem lange Zeit auch eine Dependance in Gelsenkirchen betreibenden Westfalen dazu 28 deutsche Trainer-Championate einbrachten, sind viele so bemerkenswert, dass man damit Bände füllen könnte, doch beispielhaft für die Genialität dieses Mannes soll der Sieg mit DERBY DU GITE im »Großen Preis der UET 1995« in München herausgehoben werden, wo Heinz Wewering nach getaner Arbeit schon auf dem Weg zum Flughafen ist, als ihn ein Anruf erreichte, ob er nicht die Fahrt hinter dem Franzosen übernehmen wolle, da dessen Trainer die rechtzeitige Anreise nicht mehr hinbekommen hatte.

Die anschließende Darbietung und der Zweikampf, den sich Wewering in der mit 500.000 DM dotierten Prüfung mit Jos Verbeeck und MR. LAVEC liefert, ist ein Stück aus dem Lehrbuch des internationalen Rennsports.

Heinz Wewering ist jahrelang auf allen großen Bühnen des Trabrennsports erfolgreich und gewinnt etliche international reputationsreiche Rennen. Allenfalls ein Erfolg im »Prix d’Amérique«, an dem er nur einmal (1993 mit dem von Léopold Verroken trainierten UNIQUE JAMES) teilnimmt, bleibt ihm als großer Traum verwehrt.

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Lebende Legenden: Heinz Wewering mit Jean-Michel Bazire (links) und Jorma Kontio

Nie erreicht sind vielleicht seine drei hochkarätigen Erfolge an einem Tag im Sommer 1983, als er mit KOMBO in Paris-Enghien den »Prix de Washington« gewinnt, um am selben Abend, nach einer halsbrecherischen Autofahrt zur Niersbrücke nach Mönchengladbach, noch in beiden Abteilungen des »Rheinischen Zukunftspreis« mit Castan und Fitaba zu brillieren.

Dabei sind es nicht nur die vielen Renntage, die HW nicht selten mit acht Tagessiegen dominierte (sein Rekord von neun Siegen an einem Renntag stammt vom 10. März 1995 in Recklinghausen), sondern der damit verbundene Kraftakt, den er innerhalb einer Sieben-Tage-Woche über fast 30 Jahre bewältigt, die ihn so einzigartig und genial erscheinen lassen, wofür ein „schlichtes“ Talent einfach nicht ausreicht.

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Mit der Lasbekerin Motion Pure gewann Heinz Wewering 2017 Stutenderby und Breeders Crown

Den Niedergang des deutschen Trabersports indes konnte auch ein Mann wie Heinz Wewering nicht aufhalten, obwohl er sich auch mit großem Engagement nebenbei noch in vielen Gremien eingesetzt hat.

Seine einstige Kaderschmiede im Castrop-Rauxeler Bladenhorst, wo er zeitweise 200 Pferde betreut, verlässt er in den frühen 2000er Jahren, um sein Glück noch einmal in Italien zu versuchen. Doch die Bedingungen sind auch dort nicht mehr so glorreich, so dass er bald wieder die Rückkehr nach Deutschland antritt, wo er nach Episoden als Chef-Trainer bei Marion Jauß und Ulrich Mommert mittlerweile in Berlin mit seiner Partnerin Chantal seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat.

Dorthin sendet ihm die komplette Trabergemeinschaft heute die allerherzlichsten Glückwünsche, verbunden mit dem Dank an eine lebende Legende, die uns allen unbeschreibliche Augenblicke beschert hat und die nicht zuletzt auch durch ihre offene und positive Einstellung und Art eine ewige Galionsfigur in diesem Sport bleiben wird.

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